Die Legende von Shannara 01 - Brooks, T: Legende von Shannara 01
schien es, als sähe und hörte er Dinge, die sein Gefährte nicht erfassen konnte.
»Sider, es ist die Wahrheit. Nach allem, was seit den Großen Kriegen geschehen ist und obwohl fünfhundert Jahre verstrichen sind, hat sich nicht viel verändert. Oh, die alte Welt ist untergegangen, das stimmt schon. All jene Städte, Fabriken, Kriegsmaschinen und all die anderen Dinge, welche die alte Wissenschaft geschaffen hatte, um die Welt besser zu machen, sind verschwunden. Und wir haben nichts Nennenswertes an ihre Stelle gesetzt. All diese Dinge könnte es ebenso gut auch niemals gegeben haben. Kein einziges davon. Jahrhunderte der Entwicklung zum Wohle der Menschheit, zur Mehrung ihres Wissens und ihres Fortschritts verschwanden buchstäblich über Nacht, weil es die Menschen nicht verstanden, weise und sorgsam damit umzugehen. Alles aus und vorbei– und zu welchem Zweck? Hat man die Lektion gelernt? Hat man vielleicht neue Perspektiven entwickelt, um zu verhindern, dass so etwas noch einmal geschieht? Wenn ja, dann zeig es mir.«
Sider zuckte mit den Schultern. »Die Geschichte wiederholt sich, Inch. Das ist eine alte Weisheit, aber trotzdem hat bisher noch niemand ein Mittel dagegen gefunden.«
Der Hüne schnaubte. »Siehst du, da hast du es. Du verstehst, worauf ich hinauswill. Sogar das, was sich ändert, wiederholt sich immer nur. Wir sind dazu verdammt, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen, und ganz gleich, wie viel Bildung wir aus unserem Hang zur Selbstzerstörung und fehlgeleitetem Denken herausziehen… wir lernen nicht daraus. Jedenfalls nichts, das länger als eine Generation, wenn es hochkommt zwei Generationen Bestand hat. So war es in der Vergangenheit, so ist es jetzt, und ich würde darauf wetten, dass es auch ewig so bleiben wird.«
Sider schüttelte den Kopf, eher aus Verwirrung denn aus dem Wunsch zu widersprechen. »Ich glaube, dass wir vielleicht doch jedes Mal ein paar Dinge lernen, die wir nicht vergessen. Ein bisschen bleibt immer haften. Es ist nur schwer, dieses Wissen an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben, weil sie Dinge, die sie nicht selbst erlebt haben, anders betrachten als wir. Wenn man etwas nicht selbst erlebt hat, fällt es einem viel schwerer, die Lehren daraus zu akzeptieren.«
Er seufzte. »Aber Dämonen? Ich hätte nicht geglaubt, dass irgendjemand die jemals vergessen könnte; nicht nach all der Verheerung, die sie angerichtet haben, nach all dem Schmerz und den Zerstörungen, die sie verursacht haben. Ich hätte mir niemals vorstellen können, dass die Überlebenden der Großen Kriege diese Lektion jemals vergessen würden, selbst wenn alles andere Wissen verloren ginge.«
»Oh, sie haben es nicht vergessen, das nicht. Und sie haben es ihre Kinder gelehrt.« Deladion trank wieder einen Schluck Bier. »Aber diese Wesen erscheinen nicht jedes Mal auf dieselbe Weise. Sie sind wie Alpträume, sie nehmen eine neue Gestalt an und attackieren aus ganz unterschiedlichen Richtungen. Sie sind Wechselbalge und Gestaltwandler, und sie haben die Beschaffenheit und das Äußere von Geistern.«
Er hob warnend einen Finger. »Versteh mich nicht falsch, Sider. Dämonen mögen unsere gefährlichsten Feinde sein, aber sie sind nicht unsere einzige Sorge. Jedenfalls nicht nach dem, was ich gesehen habe. Das größere Problem sind die ungeklärten Verhältnisse zwischen den verschiedenen Völkern, welche die Großen Kriege überlebt haben. Diese Völker– oder Spezies, um genauer zu sein– nahmen unterschiedliche Formen an und entwickelten unterschiedliche Sprachen. Sie wussten kaum voneinander, bis sie vor etwas über hundert Jahren aufhörten, in Höhlen und Verstecken zu leben und sich herauswagten, um sich einmal genauer umzuschauen. Statt sich jedoch für die gemeinsame Sache zu verbünden, taten sie das genaue Gegenteil. Sie schufen neue Barrieren, die jeden Zusammenschluss verhindern sollten, und machten jedem klar, dass sie für niemanden Verwendung hätten und keinem vertrauten, der nicht genauso war wie sie selbst. Die ganze Vergangenheit lebte also wieder auf. Es war genau wie immer: Der Mensch ist des Menschen schlimmster Feind.«
»Willst du damit sagen, dass wir hier jetzt nur eine kleinere Ausgabe von dem haben, was wir vor fünfhundert Jahren zurückgelassen haben?« Sider starrte ihn ungläubig an. »Dass sich an dem Spiel nichts geändert hat, außer der Anzahl der Mitspieler?«
Inch nickte. »Genau darauf läuft es hinaus. Traurig, oder?«
Sider sank
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