Die Legende von Shannara 01 - Brooks, T: Legende von Shannara 01
Hunger war alltäglich. Alle waren in der gleichen Situation… die Menschen, die sich in etwas anderes verwandelt hatten und diejenigen, die es nicht taten. Es gab nichts mehr, was auch nur entfernt einer Zivilisation ähnelte, es gab keine Ordnung mehr, keine verbindliche Moral und kein Gespür für Recht und Unrecht. Es muss zwar welche gegeben haben, die sich diesen Werten immer noch verpflichtet fühlten, aber die meisten verhielten sich, wie ihre Umwelt es ihnen abverlangte, und sie wurden so, wie sie sein mussten, um am Leben zu bleiben.«
»Ich hatte mir schon gedacht, dass es darauf hinausgelaufen sein könnte«, erwiderte Sider.
»So lief es ungefähr zweihundert Jahre lang, dann klärten sich die Dinge wieder von allein. Die Leute, die den schlimmsten Plagen, Giften und Feuerstürmen entkommen waren, hatten Gemeinden gegründet, die sich verteidigen konnten und Schutz boten. Die Leute waren zwar nur bewaffnet unterwegs, aber zumindest hatten sie keine Angst mehr davor, überhaupt unterwegs zu sein. Die Bewaffnung war meist ziemlich rudimentär. Es gab noch ein paar Flechettes, Sprays und andere Überbleibsel aus der Zeit vor den Großen Kriegen, aber die meisten funktionierten nicht mehr oder waren verrostet. Die Menschen vergaßen, wie man sie repariert, und dann, wie man sie benutzt, und schließlich vergaßen sie sie ganz und gar. Die Zeit für diese Art von Waffen war vorbei. Die Menschen fingen wieder an, Waffen wie früher herzustellen. Sie schmiedeten Klingen für Schwerter, große und kleine Speere, formten Bogen aus Eschenholz, banden Feuersteine an Eichenzweige als Pfeile. Dann lernten sie, wie man diese Dinge benutzt. Sie gingen gemeinsam auf die Jagd, ließen Wachen für ihre Frauen und Kinder zurück und setzten sich mit einigem Erfolg gegen die Raubtiere und anderen Räuber zur Wehr, die immer noch durch das Land zogen. Anders als zuvor jedoch begannen sie allmählich, sich zu organisieren.«
»Aber das war wohl immer noch nicht genug, oder?«, riet Sider.
Inch schüttelte den Kopf. »Es waren nicht gerade große Entwicklungssprünge. Überall im Land wurden immer noch Schlachten geschlagen. Dutzende, jeden Tag. Ganze Ortschaften wurden ausradiert. Ein paar der Mutanten, die von den Vergiftungen durch die Großen Kriege geschaffen worden waren, hatten sich zu wahren Monstern entwickelt, die durch fast nichts aufzuhalten waren. Manche davon waren sogar noch schlimmer als die Agenahls, aber die meisten waren zeugungsunfähig und starben entsprechend schnell aus. Es gab nicht genug Nahrung, dass sie hätten überleben können, und sie waren nicht schlau genug, um alles zu meiden, was mit Gift und Chemikalien durchsetzt war. Aber sie waren nicht das Schlimmste von allem, was da draußen unterwegs war, Sider. Weißt du, was das war? Und noch immer ist?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Dämonen. Sie haben zusammen mit den Menschen und den anderen Kreaturen überlebt. Es waren zwar nicht viele, aber es kamen schon einige zusammen. Sie entkamen aus demselben Grund wie alle, denen das gelang… indem sie sich nicht an den Orten aufhielten, wo sich die größten Zerstörungen zutrugen. Als dann schließlich alles vorüber war, waren sie noch immer genau so wie früher, und sie fingen sofort wieder damit an, das zu tun, was sie schon immer getan hatten: Sie arbeiteten eifrig daran, alles Leben auszulöschen außer ihrer eigenen Art. Sie unterwanderten so viele Kreaturen, wie sie nur konnten, und machten sie sich untertan. Es war nicht mehr so wie früher, sie waren nicht viele und konnten deshalb offen nicht viel ausrichten. Sie mussten von vorn anfangen, so wie alle anderen auch. Aber das genügte auch schon.«
»Moment mal.« Sider hob eine Hand. »Ich habe natürlich auch Geschichten gehört, dass die Dämonen den Wahnsinn der Großen Kriege angeheizt und Armeen gebildet hätten, um die menschliche Rasse auszumerzen. Aber diese Geschichten habe ich nur halb geglaubt. Und du sagst, es war wirklich so? Du sagst, da draußen sind immer noch Dämonen? Hier draußen? In deiner Welt? Dämonen von der Sorte, welche die menschliche Rasse ausgelöscht hat? Ich meine, fast ausgelöscht hat?«
Deladion Inch wippte ein wenig zurück. Er saß inzwischen mit verschränkten Beinen neben Sider und hatte seinen Umhang fest um sich geschlungen, weil die Luft mit fortschreitender Nacht immer kühler wurde. Sein Lächeln war ironisch, zwar fröhlich, aber ohne Wärme, und als er in die Dunkelheit hinausstarrte,
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