Die Legende von Shannara 01 - Brooks, T: Legende von Shannara 01
hatte. Der Kult unternahm nichts, um seine rigiden Prinzipien aufzulockern; nichts, um die Verletzungen zu heilen, zu deren Entstehung er bewusst beigetragen hatte, als er Angehörige anderer Rassen ausschloss und sich weigerte, abweichende Überzeugungen gelten zu lassen. Der Kult beharrte selbst dann noch auf seinem Standpunkt, als deutliche Beweise dafür vorlagen, dass er falsch gelegen hatte. Außerdem weigerte er sich, in Betracht zu ziehen, dass er dadurch eine Gefahr heraufbeschwor, die sie alle vernichten könnte.
Wie konnte so viel Falsches aus etwas entstehen, das so richtig begonnen hatte?
Sie kletterten weiter, bis sie den Talsaum erreichten. Die Sonne stand inzwischen weit über dem Horizont und bewegte sich auf ihren Zenit zu. Dann wandten sie sich nordwärts, wo der Talsaum zu einem schmalen Pfad abflachte, der sich durch Felsformationen und kleinere Hügel wand. Die Luft war kalt, und der Wind wehte in stürmischen, unvorhersehbaren Böen, die den Wanderern Aufmerksamkeit und einen sicheren Stand abverlangten. Aber der Junge und das Mädchen waren diesen Weg schon oft gegangen; deshalb wussten sie, wie sie den Grat nehmen und Fehltritte vermeiden konnten.
Gegen Mittag hatten sie den Punkt überschritten, von dem ab es auf der anderen Seite wieder abwärts ging, und in der Ferne konnten sie bereits das Seengebiet erkennen, wo Eldemere begann, von Wäldern gesäumte Gewässer, welche die Westgrenze des Elfenlandes bildeten.
In der Ferne zog ein Regenschauer über die Seen und Wälder. Es war ein zerrissener grauer Vorhang, der von den massigen hochgetürmten Kumuluswolken herabhing.
»Ich glaube, wir könnten nass werden«, bemerkte Prue.
Panterra nickte. »Mir scheint, Mutter Natur will uns helfen, unsere Spuren zu verwischen.«
Sie schaute rasch zu ihm hinüber. »Hast du nicht gesagt, Skeal Eile würde sich nicht die Mühe machen, uns nachzusetzen?«
»Das habe ich. Aber falls ich mich irre, schadet es auch nichts, wenn der Regen uns hilft.«
Prue sah ihn missbilligend an. »Falls du dich irrst, ja?«
»Nicht dass es wahrscheinlich wäre; ich meine ja nur für den Fall.«
Sie verzog das Gesicht. »Kein Wunder, dass ich so ängstlich bin.«
Sie nahmen sich Zeit für ein kurzes Mittagsmahl und beobachteten, wie der Sturm mit großen, düsteren Wolken über Eldemere dahinzog. Es gab jedoch weder Blitze noch Donner, und vom Rauschen des Windes abgesehen herrschte eine eigentümliche Stille. Nur die Blätter der Bäume, der darunter liegenden Büsche und Gräser und die Wasseroberflächen bewegten sich. Die rasch dahinziehenden Wolken warfen Schatten, die dazwischen durchbrechende Sonne beschien die Baumwipfel. Es wirkte wie eine ganze Welt aus substanzlosen, flüchtigen Schatten. Der Junge und das Mädchen aßen und schauten zu, zwar nicht völlig hypnotisiert, aber doch ziemlich gebannt. Es waren Momente wie dieser, die dafür sorgten, dass sie sich in ihrer Welt zu Hause und willkommen fühlten. Hier draußen in der Wildnis, fernab aller Mauern und den Elementen ausgesetzt, verspürten sie seit jeher den größten Frieden.
»Was glaubst du, was die Elfen sagen werden, wenn wir ihnen Siders Botschaft überbracht haben?«, erkundigte sich Prue.
Pan zuckte mit den Schultern. »Das weiß ich nicht. Aber ich glaube, sie werden uns anhören, ohne uns zu beschimpfen oder uns Blicke zuzuwerfen, als wären wir schlechte Menschen.«
Er begann, ihre Ausrüstung zusammenzupacken, vergrub die Überreste ihrer Mahlzeit, streute Erde darüber und tat, was er konnte, um ihre Anwesenheit zu verbergen. Er ging nicht davon aus, dass jemand ihren Rastplatz finden würde, weil er weitab vom Weg lag und zwischen den Felsen verborgen, wo niemand einfach so vorbeikommen würde. Trotzdem wollte er es auch nicht darauf ankommen lassen.
»Also fangen wir bei den Orullians an?« Prue half ihm beim Aufstehen und schaute auf Eldemere hinunter. »Der Regen wird schlimmer. Ein Ende des Sturms ist auch nicht abzusehen. Vielleicht sollten wir hier lieber kampieren, statt den Abstieg fortzusetzen.«
»Damit verschwenden wir einen halben Tag, und das ist Zeit, die wir nicht haben«, widersprach Pan und schulterte sein Bündel. »Ich glaube, wir sollten so schnell wie möglich Arborlon erreichen. Die Wesen von der äußeren Welt, die versucht haben, in unser Tal einzudringen, dürften auch nicht auf besseres Wetter warten.«
Sie nickte und schulterte ihr eigenes Gepäck. Gemeinsam machten sie sich von Neuem auf den Weg,
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