Die Legende von Shannara 02: Die Herrschaft der Elfen
seinen Blick nicht abwenden, konnte nicht verhindern, was da geschah, und sah ihr nach, bis sie zu einem kleinen Punkt am Himmel geschrumpft war. Er konnte einfach nicht glauben, dass sie das getan hatte. Impulsiv, unberechenbar und egoistisch, das war sie, gewiss, aber sie musste trotzdem intelligent genug sein, um zu wissen, wann sie sich in Gefahr begab. Und doch schien sie es nicht einmal bemerkt zu haben. In einer einzigen überstürzten, impulsiven Handlung hatte sie alle Vorsicht beiseitegefegt und sich in die Hände eines Schicksals begeben, das sich sehr leicht gegen sie wenden konnte.
Und vor allem hatte sie ihn im Stich gelassen.
Er stand da, wie betäubt und verletzt. Er sah ihr nach, bis sie vollkommen verschwunden war. Dann erst begriff er, dass er sie für immer verloren hatte.
KAPITEL 30
Phryne Amarantyne weinte. Dicke Tränen rollten ihr über die Wangen, und sie sah alles nur noch verschwommen.
Es konnte der Herzschmerz sein, den sie empfand, weil sie Panterra Qu verlassen hatte, den Fährtenleser, der sein Leben für sie riskiert, sie gerettet hatte, als kein anderer es vermochte, und den sie jetzt einfach zurückließ, um ihrem Volk zu helfen.
Es hätte auch Freude sein können, die sie durchströmte, als sie auf dem Drachen reitend dahinflog, hoch in den blauen Himmel hinauf, eins wurde mit den Wolken, dem Nebel und fernen Orten, die vielleicht kein anderer jemals zu sehen bekam, frei und erfüllt von einem Staunen und einem tiefen, dauerhaften Gefühl der Freude.
Es mochte aber auch ganz einfach der Wind sein, der ihr ins Gesicht peitschte, kalt, hart und stechend.
Aber sie hätte den verschwommenen Blick, die tränennassen Augen und ihr Unbehagen in diesem Moment gegen nichts in der Welt eingetauscht. Sie hatte noch nie etwas Vergleichbares empfunden, sich nicht einmal vorstellen können, dass so etwas überhaupt möglich war. In Wahrheit, obwohl sie sich beinahe gezwungen gefühlt hatte, den Drachen zu reiten, und auch wenn sie überzeugt gewesen war, dass sie es vermochte, hatte sie Zweifel gehabt. Immerhin existierten eigentlich keine Drachen. Einen Drachen zu reiten war nur ein Traum. Jetzt jedoch lebte sie diesen Traum, tat das Unmögliche, und die Begeisterung, die sie durchströmte, war einfach überwältigend.
Weder ihr Unbehagen noch ihre Tränen hielten lange an. Schon nach kurzer Zeit hatte sie das Gefühl, als hätte sie das hier schon ihr Leben lang getan. Der riesige Körper des Drachen schien zu wogen, während er flog, und schon bald hatte sie sich daran gewöhnt und konnte den Rhythmus erahnen. Sie fühlte sich wohl mit dieser regelmäßigen Wellenbewegung. Sie strich mit den Händen über die riesigen Schuppen direkt vor ihr, fuhr mit den Fingerspitzen über ihre raue Oberfläche. Sie fühlten sich an wie flache Steine, waren jedoch warm. Sie hörte das Quietschen, mit dem sie sanft übereinanderschabten. Allmählich fühlte sie sich sicher auf ihrem Sitz, und die Furcht, die Balance zu verlieren und zu fallen, die sie noch am Anfang empfunden hatte, verschwand.
Im Norden legten sich die ersten Schattierungen des Zwielichts um die Gipfel der Berge, die ihr Heimattal umringten, quollen über die felsigen Klippen und machten sich auf den Weg hinab zum Vorgebirge und der Mündung des Aphalionpasses. Sie konnte die Schlacht weder hören noch sehen, die dort ausgetragen wurde, aber sie wusste aus der Vision, die ihr die Elfensteine gezeigt hatten, dass ihr Ausgang auf der Kippe stand. Sie drängte den Drachen weiter, durch reine Willenskraft, durch den Druck ihrer Beine an seinem schuppigen Hals und das klugen Einsetzen der Magie der Elfensteine, die sie zu ihrem Ziel leiteten. Hin- und hergerissen von ihren Gefühlen, gepeinigt von Schuldgefühlen und Bedürfnissen war sie dennoch vor allem von einem Wunsch erfüllt:
Sie musste die Elfen rechtzeitig erreichen, um sie zu retten.
Sie musste die Aufgabe erfüllen, die sie sich selbst gestellt hatte, damit alles, was sie durchgemacht hatte, und alles, was sie dafür aufs Spiel gesetzt hatte, seinen Sinn bekam.
Der Drache flog weiter, schnell und ruhig, und die Berge kamen allmählich näher. Phryne machte sich Sorgen, dass die Bestie irgendwann ihr Interesse an der Magie der Elfensteine verlieren könnte, und um das zu verhindern, spielte sie mit dem blauen Licht nur so viel herum, dass sie sich seiner fortgesetzten Aufmerksamkeit vergewissern konnte. Ein- oder zweimal hielt sie es sogar so dicht vor ihn, dass er es mit
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