Die Legenden der Albae: Die Vergessenen Schriften (German Edition)
könnten.
Rasch rammten sie weitere Latten in großen Abständen in den Boden, zwischen denen sie hauchdünne Fäden spannten; daran befestigten sie kleine Metallplättchen, die sie aus der Schmiede nahmen. Sobald etwas den See verließ und die Fäden berührte, würde das helle Klirren sie warnen.
Etwas beruhigt nahmen sie die Prüfung der Steinwände wieder auf.
Als die Sonne versank und die Nacht hereinbrach, wurde es im Tal nicht kühler. Der warme Wind, der aus den Felsenlöchern strömte, erlaubte es dem Winter nicht einmal in der Dunkelheit, Einzug zu halten.
Sinthoras und Caphalor wählten eines der größeren Häuser, das nicht zu weit entfernt vom See lag, um ihre Warnvorrichtung zu vernehmen. Sie machten es sich im zweiten Geschoss auf dem Boden bequem, betteten sich auf die Umhänge und nutzten die Rucksäcke als Kissen.
Caphalor lag auf dem Rücken, die Augen zur Decke gerichtet.
Das Brodeln des Wasserfalls drang leise zu ihm und machte ihn rasch schläfrig. Die warme Luft, die nach Äpfeln und Getreide roch, erinnerte unweigerlich an Sommernächte.
Man kann leicht vergessen, dass Winter ist. Eine Hand behielt er trotz der Idylle am Dolchgriff. Er schloss die Lider und dachte an seine Gefährtin. Ihr würde es hier gefallen – sobald alle Hinweise auf die Spitzohren entfernt wären.
Mit einem Lächeln schlief er ein – nur um gleich darauf von einem Rütteln geweckt zu werden. Im Aufwachen zückte er den Dolch, hielt aber inne, als er seinen Freund neben sich knien sah. »Der See?«, wisperte er.
»Nein«, erwiderte der blonde Alb. »Ein Scharren, oben, auf den Terrassen.« Er huschte davon, seinen Speer am langen Arm haltend.
Caphalor folgte ihm, verstaute das Schwert am Gürtel und griff sich den Bogen zusammen mit den langen schwarzen Pfeilen, die selbst auf größere Entfernung tödliche Wucht entwickelten und dicke Panzerungen durchschlugen.
Während es rings um das Tal schneite und die Flocken wie wahnsinnig wirbelten, verwandelten sie sich in Wassertropfen, sobald sie in den warmen Wind gerieten. Der leichte Nieselregen versorgte die Pflanzen mit benötigtem Wasser, um wachsen und gedeihen zu können.
Welch Schauspiel. Caphalor verschwendete nicht mehr als einen halben Herzschlag für den Blick hinauf, dann richtete er ihn auf die Terrassen. Das Licht des Mondes, der sich durch die Wolken kämpfte, reichte aus, um die Umgebung bestens erkennen zu können.
»Im Feld, auf der zweiten Ebene«, wisperte Sinthoras und blieb geduckt wie sein Freund. »Von dort kam es.«
Caphalor hielt den Bogen schussbereit und verfolgte die Bewegung der langen Halme genau, ob sich darin ein Umriss zeigte.
Doch so sehr sie lauschten und lauerten, es blieb still in der verlassenen Siedlung.
»Bist du dir sicher, dass …«, hob Caphalor an – als er einen wolfsgroßen Schemen im Getreidefeld erkannte, der die reibenden, raschelnden Stängel geschickt als Deckung nutzte.
Sinthoras hatte ihn ebenfalls wahrgenommen. »Jedenfalls kein Elb«, wisperte er.
Caphalor spannte ruckartig den Bogen und zielte dahin, wo er den Schemen als nächstes vermutete.
Die Finger gaben die dünne Sehne frei, der lange schwarze Pfeil sirrte davon – und huschte zwischen die Halme.
Ein lautes Aufjaulen erklang, dann hetzte das Wesen durch das Feld und über die zweite Terrasse, jagte und sprang die Treppe hinauf und hinkte über den Schnee davon.
Caphalor sandte ihm noch weitere Geschosse nach und war sich sicher, dass sämtliche Spitzen ihr Ziel getroffen hatten.
Doch das Wesen rannte noch immer und verschwand hinter einer Wehe.
»Das ist nicht möglich«, entfuhr es ihm. »Wie kann es das überleben?«
Sinthoras zeigte sich gleichfalls verwundert. »Für so eine vergleichsweise kleine Kreatur steckt es sehr viel ein. Ich sah Trolle nach einem deiner Treffer fallen.« Er schickte sich an, die Stufen zu erklimmen. »Ich schaue mir das Blut an. Vielleicht lässt sich daraus etwas Ungewöhnliches ableiten.«
Caphalor begleitete ihn die Hälfte des Weges, dann blieb er stehen und sicherte seinen Freund mit dem Bogen. Ob sich noch eines verborgen hält?
Es dauerte nicht lange, und der blonde Alb kehrte zu ihm zurück. »Es ist herkömmliches Blut, das ich auf der Treppe, an den Halmen und im Schnee fand«, erstattete er enttäuscht Bericht. »Es wird ein Raubtier gewesen sein, das Schutz vor der Kälte suchte.« Er ging zurück zur Hütte, wo sie ihr Lager errichtet hatten. »Auf unserem Rückweg finden wir es
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