Die Legenden der Albae: Die Vergessenen Schriften (German Edition)
Wintersonne. Ihr süßer Geruch strömte bis zu den Albae herauf.
Sie sahen Steingebäude, deren eigentümliche Formen eindeutig für Elben als Urheber sprachen und deren Dächer aus Reet bestanden. Es gab Brücken von Ebene zu Ebene und Kabinen, die an langen Tauen über das Tal von rechts nach links gezogen werden konnten. Ein Wasserfall ergoss sich schäumend in einen kleinen See und trieb bei seinem Sturz eine Ansammlung von Mühlrädern an, die an die Wand gebaut waren und sich schnell und unaufhörlich drehten.
Was nicht auszumachen ist, sind die Bewohner. Caphalor wurde von einer Anspannung befallen, die sich verstärkte, als sie an den Rand des Tales gelangten. Etwas westlich von ihnen führte eine breite Treppe in Serpentinen hinab. »Keine Befestigungen, keine Wachen«, murmelte er und streckte eine Hand aus. Da nichts kribbelte und auf Magie hinwies, existierte ebenso wenig ein magischer Schild.
»Sie verlassen sich wohl auf die Höhe und ihre geschützte Lage.« Sinthoras hielt seinen Speer nicht mehr locker, sondern kampfbereit; sein Kopf bewegte sich nach rechts und links; er suchte den Ort nach Lebenszeichen ab. »Sie müssen sich vor uns versteckt haben.«
Caphalor konzentrierte seine Blicke auf die Häuser und die Terrassen. Unkraut wucherte zwischen dem Getreide, ganze Holzsegmente fehlten in den gewaltigen Rädern, viele Taue waren verwittert wie die Dacheindeckungen; auf dem Boden lagen die Trümmer von abgestürzten Gondeln und abgerissenen Brücken. Heruntergekommen und verwildert. »Hier lebt niemand mehr«, befand er und setzte den Fuß auf die erste Stufe, verharrte zwei, drei Herzschläge lang, um doch eine mögliche Reaktion abzuwarten, und setzte den Abstieg fort.
Der aufströmende Wind erwärmte sich schlagartig, der Duft von reifem Obst glitt lockend heran. Das Rascheln der Blätter und Halme schuf die Illusion, sich an einem Sommertag in der Nähe von Dsôn aufzuhalten. Aber ein Blick auf das sich türmende Weiß an den Berghängen oberhalb genügte, um Caphalor daran zu erinnern, wo sie sich befanden.
»Ich sah es ebenfalls. Sie haben das Tal aufgegeben.« Sinthoras schritt neben ihm die Treppe hinab und hielt seine Waffe bereit, Caphalor hatte sein Schwert gezogen. »Du hattest recht: Ich fühle keine Anzeichen für starke Magie, die das Wunder bewirken könnte. Nur einen sehr heißen Wind.« Er zeigte nach rechts. »Siehst du die Löcher in den Wänden?«
»Ich sehe sie. Und ich stimme dir zu: Der Wind hat seinen Ursprung im Gebirge.« Er kannte die Geschichten von flüssigem Gestein, das mit enormer Hitze in den Gängen der Berge floss. »Womöglich befindet sich in der Nähe oder sogar hinter den Wänden eine Blase dieser feurigen Lava, die ihre Ausdünstungen in das Tal sendet.«
»Das wäre gefährlich.« Sinthoras bedachte den Felsen mit misstrauischen Blicken. »Wie schnell können diese Gase tödlich wirken?«
»Vielleicht geschah genau dies, und den Elben blieb gerade noch genug Zeit, nach Tark Draan zu flüchten?« Caphalor beschleunigte seine Schritte.
Sinthoras stach im Vorbeigehen mit seinem Speer nach einem Apfel und pflückte ihn vom Baum, nahm einen Bissen und aß mit Genuss. »Süßlich, aber auch mit Säure versehen. Er mundet ausgezeichnet.« Er schüttelte den Kopf. »Und das umgeben vom Eis.« Er zog den Helm ab und riss sich die Haube vom Kopf.
Sie erreichten den Boden und untersuchten die Behausungen, denen man aus der Nähe deutlich ansah, dass sich schon lange nicht mehr um sie gekümmert wurde. Die Verwitterung setzte den Fugen und dem Holz zu, das Reet war löchrig geworden, und die Spinnweben im Innern spannten sich so dick und dicht, dass sie die Gespinste mit Feuerstein und Zunder erst abfackelten, ehe sie einen Fuß in die Häuser setzten.
In der Nähe der Kaskade entdeckten sie verlassene Schmieden, Scheunen und Werkgebäude, deren Hämmer, Dreschflegel und Webstühle durch die Wasserkraft angetrieben worden waren. Aber die Umlenkrollen waren überwiegend auseinandergebrochen, die Zahnräder abgeschliffen und die Seile zerrissen.
Doch nirgends fanden sich Skelette oder Leichenteile oder Gräber.
Die Albae setzten sich unter das Vordach einer Weberei, an den Rand des Sees, um den hohes Schilf wuchs, und warfen ihre schweren Mäntel und Felle ab. Gelegentlich wehte etwas erfrischende Gischt zu ihnen, das Rauschen fiel weniger laut aus als erwartet, sodass sie sich unterhalten konnten, ohne zu schreien.
»Die Runen sind elbisch«, sagte
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