Die Legenden der Albae: Die Vergessenen Schriften (German Edition)
darauf traf.
»Ich weiß nicht, über welche Entfernung ihnen das möglich ist. Bedenke, wie weit wir vom Reich der Magier entfernt sind«, gab Caphalor zurück. »Ich wusste, dass man die Botoiker nicht unterschätzen darf.«
Sinthoras stimmte zu. Es würde den Feldzug gegen Tark Draan erschweren, sollte sich eine Heerschar unter der Führung eines Botoikers in das Land ergießen. Wir haben bereits ohne die Magier einen Krieg an vielen Fronten zu führen. »Können wir sie nicht als Verbündete gewinnen?«
Caphalor lachte auf. »Das Ghaist vor meiner Festung sah nicht nach Unterhändler aus. Es ging darum, das Bollwerk auszukundschaften.«
»Es muss aber nichts mit uns zu tun haben«, gab Sinthoras zu bedenken. »Womöglich sind die Botoiker auf der Suche nach neuem Material für ihr Heer und finden nichts Passendes mehr in Ishím Voróo? Und nachdem sie wissen, dass die Pforte offen steht …« Er beließ es bei seiner Andeutung.
Caphalor erwiderte nichts, sondern folgte dem Ghaist, das um eine Biegung verschwand. Die Spuren, die es im Schnee hinterließ, machten es sehr einfach, dem Wesen zu folgen.
Ohne die schweren Tioniumharnische hätten die Albae keinerlei Abdrücke hinterlassen, doch die Rüstungen sorgten für Sohlenumrisse im pulvrigen Schnee. Wenigstens sanken sie nicht bis zur Hüfte ein, so wie es dem Ghaist gelegentlich erging und das sich jedes Mal herauswühlte, um seinen Weg unaufhaltsam fortzusetzen.
Fortan meinte es das Wetter besser mit den Albae und verschonte sie zunächst vor weiteren Stürmen oder Schneefällen.
Zwar blieb es grau und diesig, gelegentlich fielen Nebelschwaden über sie her und raubten ihnen die Sicht, doch sie fanden die Spuren des rastlosen Läufers stets wieder, sogar nach kurzen Unterbrechungen, die sie einlegen mussten, um zu Kräften zu gelangen.
Auch nach dem Sprung des Ghaists von einer Klippe dreißig Schritte nach unten in tiefen Schnee hielten Sinthoras und Caphalor nach anstrengender Kletterei den Anschluss.
Wie viele Momente der Unendlichkeit sie dem kupfernen Helm folgten, vergaßen sie recht schnell. Sie waren zu beschäftigt mit Laufen und gelegentlichem Jagen von Wild. Das rohe, warme Fleisch bedeutete selten einen Genuss, doch es ging nicht anders.
Das Gute war: Vor sämtlichen Gefahrenstellen – von verwehten Eisgräben über Hangabbrüchen bis zu Lawinen – warnte sie das Ghaist unbewusst, indem es wie ein Späher vorauseilte So kamen sie unbeschadet voran. Weiter und immer weiter.
Wir haben es geschafft! Sinthoras konnte eines Nachmittags sehen, dass die Gebirgsketten in der Entfernung weniger wurden und das Land sich absenkte. Ihr Läufer hetzte über Schneefelder, die zusammenschrumpften und dem Grau des Gebirges wichen.
»Wir sind in Ishím Voróo«, rief er erfreut. »Oh, ich kann dir nicht sagen, wie sehr ich mich auf …«
»Erst schalten wir das Ghaist aus«, unterbrach ihn Caphalor. »Danach magst du in eine Wanne steigen, dich von wem auch immer salben lassen und dich erholen.« Er deutete nach vorne. »Bringen wir es zu Fall und entscheiden, was wir tun, um es zu vernichten.« Er verfiel in schnelleres Laufen, um das Wesen einzuholen. »Den Rest des Weges bestreiten wir auch ohne es.«
Sinthoras nahm hin, dass sich sein Freund an die Spitze ihrer kleinen Gesellschaft setzte. Zu Fall bringen . Er würde sich überraschen lassen, was sich der schwarzhaarige Alb einfallen ließ.
Das Ghaist erschien zwanzig Schritte vor ihnen, bewegte die Arme mit gleichbleibender Genauigkeit vor und zurück, hob und senkte die Beine, als befände sich in seinem Innern ein Räderwerk, das ihn ohne Unterlass antrieb.
Ein kräftiger Barbar, so hätte ich es eingeschätzt. Sinthoras sah, dass der Kupferhelm nur sehr schmale Schlitze für Augen, Mund und Nase hatte. Aber ein normaler Mann wäre niemals in der dünnen Kleidung und mit nackten Armen durch Schnee und Eis gelaufen.
Sinthoras warf den schweren Mantel ab, der ihn behinderte. Er schwitzte nun wieder und wollte nicht wissen, welcher Geruch von ihm ausging. Caphalor hatte Umhang und Wolfsfell ebenso abgestreift.
Das Ghaist setzte über eine kleine Steinmauer hinweg, ohne an Geschwindigkeit zu verlieren. Dahinter begann eine Wiese, auf der Schafe und Kühe weideten.
»Wieso schießt du nicht?«, keuchte Sinthoras.
»Das würde es nicht stören«, gab Caphalor zurück. »Ich sagte, wir müssen es zu Fall bringen.« Er ergriff den Bogen, nahm Schwung und schleuderte ihn nach dem Läufer.
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