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Die Legenden der Blauen Meere, Band 1: Dreckswetter und Morgenröte (German Edition)

Die Legenden der Blauen Meere, Band 1: Dreckswetter und Morgenröte (German Edition)

Titel: Die Legenden der Blauen Meere, Band 1: Dreckswetter und Morgenröte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geoff Rodkey
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ständig das Pergament hinlegen musste, um die Laterne hochzuhalten und die Wand zu betrachten, sondern auch, weil die Linien dick und undeutlich waren und alles aussah, als wären die Zeichen mit zittriger Hand geschrieben worden. Darüber hinaus hatte ich eine solche Schrift noch nie zuvor gesehen und keine Ahnung, was ich da überhaupt abschrieb.
    Diese Feder mochte der Stiel einer Pflanze sein … Was wie ein Speer aussah, konnte ebenso gut eine Schaufel sein oder ein Bogen … Zwei viereckige Ovale links und rechts eines Rechtecks sahen zunächst wie ein Schmetterling aus … dann verwandelten sie sich in die Augen und den Schnabel einer Eule … um schließlich einen hoffnungslos verwirrten Moment später wieder zu einem Schmetterling zu werden.
    Und das Durcheinander aus Schnörkeln, Punktlinien und willkürlichen Formen zwischen den Hieroglyphengruppen – die wohl die eigentliche Karte darstellten – war noch schwieriger zu entziffern. War dieser fette Punkt vielleicht ein Kreis, der zu kräftig gezeichnet worden war? War dieser eierige Kreis in Wirklichkeit ein schlampig gemaltes Quadrat? Dieser geschwungene Klecks am Ende einer geraden Linie, neben zwei nahezu identischen Geraden: War das ein Schweif? Oder ein Punkt? Oder einfach nur ein Versehen?
    Nachdem ich alles das erste Mal zur Hälfte abgemalt hatte, überkam mich Unsicherheit, und Panik schnürte mir die Kehle zu. Ich musste aus der Höhle heraus und mich eine Weile auf die Erde legen und zu den Sternen hinaufstarren.
    Mir fiel ein Buch über die Sternbilder ein, das absurd genaue Muster von Menschen und Tieren schuf, indem es verband, was für mich nur nach bedeutungslosen Lichtpunkten am Himmel aussah. Die Erinnerung half mir, ruhiger zu werden, denn mir wurde klar, dass ich mich nicht zwischen einem Eulengesicht und Schmetterlingsflügeln zu entscheiden brauchte – ich musste mir die ganzen Figuren nur so gut einprägen, dass jemand anderes etwas damit anfangen konnte.
    Irgendwann war ich mit der ersten Abschrift fertig. Danach machte ich noch drei Durchläufe, direkt von der Wand, bis ich beschloss, dass es eine ziemlich akkurate Version war. Anschließend lehnte ich mich mit dem Rücken an die Wand und kopierte einfach meine Abschrift, immer und immer wieder, gab den Figuren irgendwelche Namen, um mich leichter zu erinnern, wobei ich mir erlaubte, mich nicht weiter um deren Korrektheit zu scheren.
    Gedankenstrich Punkt Feder, Schale, zwei Gedankenstriche Punkt Feuervogel. Speer, Sonnenauge, Zackenlinienstern, Baum. Drei Gedankenstriche zwei Punkte Frau Gesicht Strahlen. Pfeil nach unten, Totenkopf, eingekringelte Schlangen …
    Maisstängel, Donnerfaust, Boot über Wasser, Wolkenauge …
    Drei Schnörkel links unten, vier Gedankenstriche oben, seitlich Vogel, drei Kreise hintereinander, X …
    Sonnenauge, Wolkenauge, Kreis X. Mann unter Kreis. Mann im Kreis.
    Abschrift überprüfen. Noch mal abschreiben.
    Gedankenstrich Punkt Feder, Schale, zwei Gedankenstriche Punkt Feuervogel …
    Abschrift überprüfen. Noch mal abschreiben.
    Meine Hand verkrampfte sich. Ein Bein schlief ein. Ich ging nach draußen und hüpfte um das Lavafeld, bis das Kribbeln aufhörte.
    Hätte ich doch bloß etwas zu essen mitgenommen! Das wäre klug gewesen. Es wäre Platz genug im Sack gewesen. Dämlich.
    Die Sterne begannen zu verblassen. Bald würde es hell werden. Ich war noch nicht so weit.
    Ich ging wieder in die Höhle und fing von vorne an.
    Gedankenstrich Punkt Feder, Schale, zwei Gedankenstriche Punkt Feuervogel …
    Drei Abschriften später gelang mir eine fehlerlose Abschrift.
    Die darauffolgende hatte zwei Fehler.
    Und die darauffolgende sechs.
    Draußen war es jetzt hell. Ich war noch lange nicht so weit.
    Mir ging das Papier aus. Ich fing mit den Buchrändern an.
    Drei Abschriften später gelang mir wieder eine fehlerlose.
    Die nächste hatte zwei Fehler.
    Auf dem Vulkangestein draußen hörte ich das Knirschen von Schritten.
    Es waren Guts und Millicent.
    »Stumpy ist zurück«, sagte Guts. »Das Boot is im Morgengrauen gelandet. Sie kommen.«
    »Wissen die Piraten Bescheid?«
    Guts nickte. »Als wir gegangen sind, hamse gerade die Gewehre ausgeteilt.«
    Ich stapelte das Buch und das Pergament in der Ecke zu einem kleinen Haufen. Die beiden sahen mir zu.
    »Hast du es dir eingeprägt?«, fragte Millicent.
    »So einigermaßen«, erwiderte ich. Ich hielt ein Streichholz an das Papier. Der Umschlag von Die Wilden von Urluk zerfiel unter den

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