Die Legenden der Blauen Meere, Band 1: Dreckswetter und Morgenröte (German Edition)
ich nach Stumpy. Nachdem er zwei Tage lang zwischen Galgenhafen und dem Haus hin- und hergependelt war, hatte er dicke schwarze Ringe unter den Augen.
»Wie viele Soldaten?«, fragte ich.
»Hundertzwanzig. Und noch ein paar, die keine Uniform tragen.«
»Ist Roger Pembroke dabei?«
»Keine Ahnung. Wie sieht er’n aus?«
»Groß. Attraktiv. Reich.«
»Ja, ich glaub, das isser. Führt die Bande an.«
Guts stellte die Kanone ein, so gut er konnte, und wir wollten gerade ihre Schussweite ausprobieren, da hörten wir die Trommeln. Sie klangen erstaunlich nah – möglicherweise nicht weiter entfernt als die Grundstücksgrenze ein paar Hundert Meter den Berg hinunter.
Wir nahmen alle unsere Stellungen ein und kauerten uns auf der Veranda hinter unsere Barrikade. Guts und ich standen in der Mitte zu beiden Seiten von der Kanone, deren Rohr über die Obstscheffel am Ende der Treppe hinausragte. Mung war links von mir. Quint kauerte auf der anderen Seite von Guts. Alle hielten Kopf und Gewehr gesenkt.
Das Trommeln wurden lauter. Das unermüdliche Hämmern sollte uns wohl einschüchtern.
Das Getrommel machte mir nicht richtig Angst, aber es verursachte mir Kopfschmerzen. Mir war schwindlig und ich zitterte und wünschte, ich hätte irgendetwas gefrühstückt und ein bisschen geschlafen, statt die ganze Nacht aufzubleiben und mir wie ein Idiot die Karte einzuprägen.
Doch Guts hatte Recht – jetzt gab es kein Zurück mehr. Ich würde mein Zuhause bis zum bitteren Ende verteidigen. Und selbst wenn mir das nicht gelang, würde Pembroke den Schatz nicht bekommen.
Vielleicht hatte es sich deshalb richtig angefühlt, mir die Karte einzuprägen.
Vielleicht war es ja doch tapfer. Dumm, aber tapfer.
Das Trommeln schwoll zu einer Wand aus Lärm an, der alles übertönte. Sie waren nah.
Ich stützte mich auf ein Knie, hielt mein Gewehr über den Scheffel vor mir und richtete den Lauf auf die Stelle, wo die Straße zwischen den Bäumen hervorkam.
Falls Roger Pembroke den Trupp anführte, würde ich ihn erschießen, sobald er in Reichweite kam.
Die erste Reihe Soldaten tauchte auf, in feschen blauen Uniformen mit gekreuzten schwarzen Munitionsgürteln. Zehn Mann nebeneinander, Gewehr im Anschlag, die Bajonette aufgesteckt. Pembroke war nirgends zu sehen.
Der ersten Reihe folgte eine zweite. Dann eine dritte. Dann eine vierte.
Innerhalb von Sekunden hatte sich der untere Teil der Straße mit einem Meer blauer Uniformen gefüllt, die Bajonette funkelten in der Morgensonne.
Ich suchte die Menge nach Pembroke ab, konnte aber nur Soldaten entdecken.
Als die letzten in Sicht kamen, brüllte anscheinend jemand einen Befehl, plötzlich jedenfalls blieben alle stehen. Ebenso abrupt verstummten die Trommeln.
Die Stille, die nun folgte, war noch viel beunruhigender als die Trommeln.
Dann hörte ich seine Stimme.
»Mein Name ist Roger Pembroke«, dröhnte er irgendwo aus den hinteren Reihen des Soldatenmeeres. »Ich bin der rechtmäßige Besitzer dieser Plantage. Ich bin gekommen, um meine Tochter zurückzuholen und einen Mörder zur Rechenschaft zu ziehen. Jedem, der mich hören kann, möchte ich eine Warnung und ein Versprechen geben. Die Warnung lautet: Einen gesuchten Verbrecher zu verstecken wird mit dem Tode bestraft.«
Er ließ diesen Satz durch die Obstfelder hallen, bevor er weitersprach.
»Das Versprechen lautet folgendermaßen: Wenn ich diesen Ort friedlich verlasse, der Gerechtigkeit Genüge getan wurde und meine Tochter unverletzt ist, werde ich jedem Arbeiter auf dieser Plantage als Ausdruck meines Dankes eine Sonderzahlung von hundert Silberstücken zukommen lassen.«
Ich hörte links und rechts von mir leises Stimmengemurmel. Die Piraten ließen sich das Angebot durch den Kopf gehen.
»Er lügt!«, zischte ich ihnen zu.
»Ich wiederhole es gern noch einmal!«, rief Pembroke, der noch immer nicht zu sehen war. »Hundert Silberstücke für jeden von euch! Ihr braucht euch nur aus allem herauszuhalten.«
Auf der Veranda war ein unerwartetes Klappern zu hören, gefolgt von einer geflüsterten Drohung Mungs. Als ich nach rechts blickte, sah ich, wie er über eine Reihe verlassener Gewehre hinweg den letzten der Piraten böse anstarrte, der um die Verandaecke davonhumpelte.
Mung warf mir einen hilflosen Blick zu. Die anderen würden erst zurückkommen, wenn es an der Zeit war, ihr Geld bei Pembroke abzuholen.
Ich wandte mich zur anderen Seite der Veranda. Auch auf dieser Seite hatten sie sich alle
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