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Die Legenden der Blauen Meere, Band 1: Dreckswetter und Morgenröte (German Edition)

Die Legenden der Blauen Meere, Band 1: Dreckswetter und Morgenröte (German Edition)

Titel: Die Legenden der Blauen Meere, Band 1: Dreckswetter und Morgenröte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geoff Rodkey
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mir eine rein, wenn ich es nicht schnell genug auf einen Baum schaffte – nicht weil er sich irgendwie Sorgen um Venus machte, sondern weil es ein prima Vorwand war.
    Wenn es mir jedoch gelang, stellte er sich unter den Baum und brüllte jedes Mal dieselbe faustschüttelnde Drohung: »Wenn du eine Dame noch mal so behandelst, sorg ich dafür, dass die Piraten dir die Zunge rausschneiden!«
    Außer in ihrer eigenen Vorstellung war Venus wohl nur schwerlich als Dame zu bezeichnen – sie rülpste beim Essen und bohrte bei Tisch in der Nase –, außerdem war es sowieso nur eine leere Drohung. Keiner der Feldpiraten konnte Adonis ausstehen. Falls er ihnen also jemals befohlen hätte, mir die Zunge herauszuschneiden, hätten ihm diejenigen, die noch Beine hatten, wahrscheinlich einen Tritt gegen das Schienbein verpasst.
    Auch Adonis hatte also mit Tatsachen nicht viel am Hut. Oder mit irgendeiner Form des Lernens – ich weiß nicht mal, ob es Mr Sutch gelungen ist, ihm ordentlich Lesen beizubringen.
    Mr Sutch war unser erster Hauslehrer und der einzige brauchbare, vermutlich ist er deshalb nicht lange geblieben. Das war vor Jahren – ich war erst sieben, als er auftauchte, womit Venus neun und Adonis zehn gewesen sein muss. Vermutlich dämmerte es Dad damals, dass wir nicht von allein Lesen und Schreiben lernen würden – vor allem, weil das einzige Buch in unserem Haushalt eine zerfledderte Ausgabe der Grundlagen des Obstanbaus war. Deshalb gab er dem Kapitän des Frachtschiffs, das die Stinkfruchternte zu den Fisch-Inseln beförderte, einen Handzettel mit.
    Als das Schiff sechs Monate später zurückkehrte, war Mr Sutch an Bord – mit sorgenvollem Gesichtsausdruck zog dieser Mann, der nur aus Haut und Knochen bestand, alle zwei Minuten ein Taschentuch heraus, um den Schweißnebel von seinen Brillengläsern zu wischen. Es war von Anfang an klar, dass er ein Missgriff war. Der Vulkan und die Piraten jagten ihm mörderische Angst ein, und in der ersten Nacht belauschte ich ihn und Dad auf der Veranda, wo er sich mit seiner schrillen Stimme beschwerte, unter Vortäuschung falscher Tatsachen nach Dreckswetter gelockt worden zu sein.
    Dad schnaubte. »Unfug! So was hab ich überhaupt nich!«
    »Was denn?«
    »Eine Was-Se-gesagt-haben. ’ne falsche Vortäuschung.«
    »Was ich sagen wollte – ist, dass in Ihrer Anzeige ausdrücklich damit geworben wurde, dass diese Position auf Morgenröte zu vergeben ist.«
    »Ach was, das stand da nich.«
    »Sir, wenn ich Ihnen –« Da ich im Haus unter dem Fenster des Wohnzimmers saß, konnte ich sie zwar nicht sehen, doch ich hörte das Rascheln von Papier, als Mr Sutch etwas auseinanderfaltete, das vermutlich Dads Handzettel war. »Genau hier, in der dritten Zeile steht: ›Morgenröte‹.«
    »Ach was, da steht ›in der Nähe von‹ Morgenröte.«
    »Nein, es … Dieses Wort da? Das soll ›in der Nähe von‹ heißen?«
    »Was’n sonst?«
    »Ich hatte offen gestanden keine Ahnung, was dieses Wort heißen sollte.«
    »Dann wissense ja jetzt Bescheid. Heißt ›in der Nähe von‹.«
    »Aber das ist nicht mal annähernd die richtige Schreibweise!«
    »Quint konnte es gut lesen.«
    »Wer ist Quint?«
    »Hauspirat. In der Küche. Hat Stümpfe statt Beine. Schlauer Kerl. Kann lesen UND schreiben.«
    »Hören Sie, Sir … abgesehen von der Schreibweise, diese Insel hier befindet sich wohl SCHWERLICH ›in der Nähe von Morgenröte‹!«
    »Was soll’n das wieder heißen? Gehnse runter nach Galgenhafen, springense in’n Boot, Ostnordost … Mit dem richtigen Wind sindse in drei Stunden dort. Is für mich in der Nähe.«
    »Nun ja, das würde ich sehr gern tun. Und zwar so bald wie möglich – ich denke, es ist das Mindeste, was Sie unter den gegebenen Umständen für mich tun können.«
    »Was? Se in’n Boot setzen? Geht nich. Hab keins – Ich bin Farmer. Und das Frachtschiff is weg, kommt auch erst nächste Saison wieder … Vielleicht kriegense einen von den Piraten dazu, wennse ordentlich Kohle lockermachen. Hamse ’ne Knarre?«
    »Wie bitte? Nein! Ich bin ein studierter Mann.«
    »Dann würd ich’s nich riskieren. In Galgenhafen mit Geld in der Tasche und ohne Knarre aufkreuzen, das geht meistens ins Auge … Sieht aus, als würdense hier festsitzen. Und – gebense nu meinen Kindern Unterricht? Oder gehnse Obst pflücken? Andere Arbeit ham wir nämlich grade nich.«
    Als ihm klar wurde, dass er so schnell nicht wegkommen würde, gab Mr Sutch sein Bestes,

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