Die Legenden der Blauen Meere, Band 1: Dreckswetter und Morgenröte (German Edition)
züngelnden Flammen.
Ich nahm den Vorschlaghammer.
»Haste wirklich alles im Kopp? Alles?«, fragte Guts.
»Ich hoffe«, sagte ich und holte schwungvoll aus.
Es war seltsam, wie einfach alles zu Staub zerfiel. Bestimmt hundert Jahre lang hatte diese Karte unbehelligt existiert, und ich zerstörte sie in einer halben Minute restlos.
Das kleine Feuer erlosch und wir verließen die Höhle. Der helle Morgen ließ mich blinzeln.
Ich machte mich mit Guts auf den Weg den Berg hinunter, Millicent rührte sich jedoch nicht vom Höhleneingang weg.
»Ich komme nicht mit«, erklärte sie.
Ich blieb stehen und sah zu ihr zurück. Sie lehnte mit verschränkten Armen an der Felswand. Nicht unbedingt wütend. Eher traurig. Und verängstigt.
Ich hätte ihr gern gesagt, dass ich sie liebte. Aber es war ein zu großes Wagnis. An diesem Punkt war es besser, mit der Frage zu leben, als auf eine Antwort zu dringen und dann die falsche zu bekommen.
»Drück uns die Daumen«, sagte ich.
Sie schüttelte den Kopf. »Wie könnte ich?«
Guts und ich gingen davon. Als wir am anderen Ende der Wildblumenwiese ankamen, drehte ich mich noch einmal um. Sie war in der Höhle verschwunden.
»Mach dir keine Sorgen«, sagte Guts. »Die kommt bald nach.«
»Woher willst du das wissen?«
»Die wird das schon nich verpassen wollen.«
»Und warum ist sie dann nicht mit uns gekommen?«
»Weilse nich weiß, auf welcher Seite se steht.«
»War mutig von dir, die Karte auswendig zu lernen«, sagte Guts. Wir standen am Rand der oberen Obstfelder und stiegen mit ziemlichem Tempo den Berg hinunter.
»Es hat nichts mit Mut zu tun«, sagte ich. »Wenn überhaupt, dann mit Feigheit.«
»Wie meinst’n das?«
»Na ja, jetzt kann er mich nicht mehr umbringen. Wenn er es doch tut, verliert er den Schatz.«
»Ach was. Dann legt er dich einfach später um. Nachdem er dich gefoltert hat.«
»Warum sollte er mich foltern?«
»Damit du die Karte zeichnest.«
Daran hatte ich nicht gedacht. Warum hatte ich nicht daran gedacht?
Guts sah mich über die Schulter an. »Warum bleibst’n stehn? Wir müssen uns beeilen.«
»Ich denke nach.«
»Dann denk im Laufen nach!«
Ich setzte mich wieder in Bewegung, allerdings langsamer als zuvor. In meinem Magen bildete sich ein kleiner Knoten Angst.
»Der Punkt ist doch … er kann mich nicht töten –«
»Erst, nachdem er dich gefoltert hat.«
»Sag das nicht ständig! Hör zu … Ich habe mir die Karte eingeprägt, weil ich ihn nicht umbringen will –«
»Geht aber nich anders.«
»Es muss doch irgendeinen Weg geben –«
»Wie?«
»Ich komm noch nicht drauf.«
»Weil’s nich geht.«
Der Angstknoten breitete sich jetzt überall in meinem Körper aus. Allmählich fühlte ich mich ganz zittrig.
»Oh Gott … hab ich gerade was unglaublich Blödes getan?«
»Nicht blöd! Genial!«
»Warum?«
»Weil du jetzt nich mal mehr fliehn kannst. Er wird dich bis ans Ende der Welt verfolgen. Und du kannst auch nich kapitulieren, sonst wird er dich foltern. Kumpel, du steckst bis zum Hals drin. Nun musste kämpfen, bisser tot is.« Guts beendete den Satz mit einem Zucken des ganzen Kopfes, was etwas Frohlockendes hatte. »Ganz schön mutig.«
»Ich hab nicht versucht, mutig zu sein«, sagte ich mit kläglicher Stimme. »Ich habe versucht, schlau zu sein.«
»Halt dich lieber an mutig. Is eher deins.«
Ich versuchte, nicht darüber nachzudenken, dass mein genialer Plan, meine Zukunft mit Millicent zu retten, diese nicht nur garantiert zunichte machen, sondern möglicherweise auch meinen Tod bedeuten würde.
Zum Glück blieb mir nicht viel Zeit, um über irgendetwas nachzudenken. Als wir zum Haus zurückkamen, verschwanden gerade die letzten Feldpiraten mit ihren Waffen in den unteren Obstfeldern. Ein Dutzend Männer, darunter Mung und Quint, waren dageblieben, um sich hinter der Schutzmauer auf der Veranda zu verbarrikadieren. Quint hatte seinen Suppentopf rausgeschleppt und umgedreht, um ihn als Hochsitz zu benutzen. So konnte er über die Erdeimerbefestigungen schießen.
Als Guts bemerkte, dass die Piraten sämtliche Granaten aufs Feld mitgenommen hatten, stieß er einen Fluch aus. Als er dann noch feststellte, dass jemand die Kanone beiseitegeschoben hatte, um einen Weg die Verandatreppe hinunter freizuräumen, fluchte er noch wüster.
»Ich hatte sie genau auf die Mitte der Straße ausgerichtet! Jetzt kann ich wieder von vorn anfangen!«
Während er die Kanone wieder in Position zerrte, suchte
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