Die Legenden der Blauen Meere, Band 1: Dreckswetter und Morgenröte (German Edition)
Ordnung? Du!«
Er hatte eindeutig viel Zeit unter Piraten verbracht. Manche dieser Schimpfwörter hatte ich noch nie zuvor gehört. Aus seinem Mund klangen sie allerdings seltsam beruhigend. Er war ein Krüppel und vielleicht war er verrückt, trotzdem traute ich ihm mittlerweile irgendwie.
»Gut, in Ordnung«, sagte ich und streckte ihm die Hand entgegen. »Sind wir Partner?«
Als er mir die Hand schüttelte, war sein Griff so fest wie der eines doppelt so großen Mannes.
»Partner.«
Nachdem er noch mehr Holz aufs Feuer gelegt hatte, gähnte er, streckte sich im Gras aus und verschränkte die Arme über der Brust.
»Wo ist dieser Schatz?«
»Auf Dreckswetter. Schon mal gehört?«
»Klar. Nich weit von hier. Ein, zwei Tage Luftlinie.« Er starrte auf die dunklen Silhouetten der Bäume über uns. »Echt schade. Wär gern ’ne Weile hier geblieben.«
»Vielleicht müssen wir das ja. Wir werden eine Zeit brauchen, bis wir ein Floß gebaut haben.«
Er schnaubte. »Ich bau gar nix.«
»Wie wollen wir dann von hier wegkommen?«
»Auf dem gleichen Weg wie die Schweine.«
»Was soll das heißen?« Was er sagte, ergab keinen Sinn.
Guts hob den Kopf und schnüffelte. »Riechste das?«
Ich nickte. Selbst durch den Rauch des Feuers war ein unterschwelliger Gestank wahrzunehmen.
»Was ist das?«
»Dung. Wir sin auf der Schweine-Insel.«
»Was ist denn die Schweine-Insel?«
»Was der Name sagt.«
Er senkte den Kopf, schloss die Augen und in weniger als einer Minute schnarchte er schon.
Am frühen Nachmittag des nächsten Tages standen wir auf dem Bergkamm, der die Insel teilte – in den wilden, unbewohnten Teil, wo wir an Land gegangen waren, und die Seite, auf die wir nun hinunterblickten und die zum Himmel stank und laut Guts die Hauptfleischquelle für die Inseln der Blauen Meere war. Auf dem nahezu baumlosen Abhang unter uns grasten Hunderte Rinder und Schafe auf eingezäunten Wiesen. Am Fuße des Hügels, näher zum Meer hin, gab es ein halbes Dutzend riesiger Pferche, in denen Tausende von Schweinen eingesperrt waren, die sich im Dreck suhlten.
Selbst auf unserem hoch gelegenen Posten war der Gestank überwältigend.
In einiger Entfernung von den Schweinepferchen stand eine Gruppe Gebäude, die durch eine unbefestigte Straße mit einem Kai verbunden waren, der in die hufeisenförmige Bucht ragte.
Ungefähr einen halben Kilometer vor der Küste lag ein Frachtschiff, das hoch aus dem Wasser ragte. Guts deutete in seine Richtung.
»Wenn die Flut kommt, wird es anlegen«, erklärte er. »Die Ladung aufnehmen und am Morgen mit der nächsten Flut wieder auslaufen. Wir müssen es bloß an Bord schaffen.«
Ich war nicht übermäßig scharf darauf, mich schon wieder auf ein Schiff zu schmuggeln, aber es war zugegebenermaßen aussichtsreicher, als ein seetaugliches Floß zu bauen.
»Woher wissen wir, dass es nicht Richtung Kontinent fährt?«, fragte ich ihn.
»Die transportieren doch Schweine nicht so weit übers Meer. Im nächsten Hafen wechseln wir auf’n Schiff nach Dreckswetter.«
Er zuckte nervös mit den Achseln, dann trat er von unserem Aussichtspunkt zurück. »Wir müssen bloß warten, bisses dunkel is.«
Wir fanden eine gute, schattige Stelle direkt am Waldrand und streckten uns im Gras aus, um den Sonnenuntergang abzuwarten. Obwohl ich in der Nacht zuvor ausgiebig geschlafen hatte, döste ich ziemlich schnell ein. Als ich wenig später aufwachte, stand Guts mit nacktem Oberkörper neben mir. Er war so dürr, dass die Sonne quasi durch ihn hindurchschien, und ich konnte jede einzelne Rippe zählen. Er hielt seinen Armstumpf in die Höhe und musterte ihn aus verschiedenen Winkeln. Dann tat er ein paarmal so, als wäre der Stumpf ein Messer, mit dem er auf jemanden losging.
Er lächelte, die Vorstellung schien ihm zu gefallen. Als er bemerkte, dass ich ihn beobachtete, schnitt er eine Grimasse, ließ den Arm schnell sinken und sah weg.
»Was war das denn?«, fragte ich.
»Halt die Klappe.«
»Was hast du da gemacht?«
»Nix.«
»Wir sind doch Partner, oder?«
»Und?«
»Dann kannst du es mir erzählen.«
»Wohl kaum.«
»Ich würd’s dir erzählen.«
Er schnaubte. Dann setzte er sich ins Gras. Nach einigen Minuten des Schweigens sagte er: »Ich möcht ’nen Haken haben.«
»Für den Stumpf?«
Er nickte.
»Und warum organisierst du dir keinen?«
»Brauch ich ’n Schmied zu. Und Kohle, um ihn zu bezahlen.«
»Ein Drittel des Schatzes reicht doch bestimmt dafür.«
»Hängt
Weitere Kostenlose Bücher