Die Legenden der Blauen Meere, Band 1: Dreckswetter und Morgenröte (German Edition)
neben mich auf den Felsen gekrabbelt. Er holte keuchend Luft, während wir zusahen, wie das Wildschwein unter uns vor Wut schnaubte – es setzte noch ein paarmal an und bekam zwar die Vorderbeine auf den Felsen, rutschte jedoch hilflos ab.
Schließlich gab es auf und sank zu Boden. Wir sahen schweigend zu, wie das Leben aus ihm wich.
Guts prüfte die Wunde an seinem Bein, die nicht übermäßig schlimm aussah. Dann drehte er sich zu mir.
Die Heftigkeit war größtenteils aus seinen Augen gewichen. Ich musste lächeln, während ich darauf wartete, dass er mir dankte, weil ich ihm das Leben gerettet hatte.
Doch das tat er nicht. Stattdessen sah er nach unten und deutete mit einem Kopfnicken auf den toten Keiler unter uns.
»Den können wir essen«, sagte er.
Meine Methode, ein Feuer zu entfachen, funktionierte nicht. Nachdem Guts und ich in Strandnähe in einem Steinkreis Äste zu einer kleinen Pyramide aufgeschichtet hatten, verbrachte ich eine gute halbe Stunde damit, die Feuersteine aufeinanderzuschlagen. Kein einziger Funke sprang über. Vielleicht taugten die Steine nichts, die ich gefunden hatte, vielleicht hatte aber auch der Autor von Die Wilden von Urluk vom Feuermachen genauso wenig Ahnung wie vom Geschichtenerzählen.
Auf jeden Fall hatte Guts – der ununterbrochen herumzappelte und dessen Augen und Schultern selbst dann zuckten, wenn er versuchte, stillzusitzen und mir dabei zuzusehen, wie ich die Steine aufeinanderhämmerte, wobei seine blauen Augen unter dem langen, verfilzten Schopf blonder Haare ungeduldig blinzelten – nach einer Weile die Nase voll vom Warten und nahm die Sache in die Hand.
»Lass mich das machen«, erklärte er. »Hol noch mehr Holz.«
Ich lief los, um Kleinholz zu suchen, und als ich zurückkam, hatte er einen dicken Ast in zwei Hälften gespalten und ritzte längs eine Kerbe hinein, indem er den Ast zwischen den Knien festklemmte, während er mit seinem intakten Arm das Messer führte. Er schickte mich noch einmal los, um größere Holzstücke zu holen, und als ich dieses Mal zurückkam, war die Kerbe fertig und er beugte sich über den Ast und versuchte, einen angespitzten Stock in der Kerbe hin und her zu bewegen. Es war harte Arbeit für jemanden, der nur eine Hand hatte, und ich wollte ihm gerade meine Hilfe anbieten, als er mir zuvorkam.
»Da«, sagte er. »Mach das so.«
Unter seiner Anleitung rieb ich den Stock so lange über die Kerbe, bis sich etwas Holzstaub bildete. Anschließend ließ er mich den Ast auf meinem Knie schräg halten, so dass sich der Staub am unteren Ende als Häufchen sammelte, dann musste ich den Stock so fest zwischen den Handflächen hin und her reiben, wie ich konnte.
Nach zehn Minuten schmerzte meine Schulter, meine Hand war verkrampft und ich fragte mich schon, was das Ganze sollte, als plötzlich ein kleines Rauchfähnchen aus dem Staub aufstieg. Guts beugte sich darüber und blies vorsichtig über das Häufchen, bis es sich mit einem Mal entzündete. Schnell legte er das Anzündholz auf den Ast. Innerhalb von ein paar Minuten hatten wir ein ziemlich großes Feuer.
Während Guts wieder den Hügel hochlief, um mit seinem Messer den Keiler zu zerlegen, blieb ich beim Feuer sitzen. Bei Sonnenuntergang kam er zurück, dermaßen mit Blut und Eingeweiden verschmiert, dass es aussah, als wäre er in den Kadaver gekrochen. Doch er hatte es geschafft, ein paar gute Stücke Fleisch herauszuschneiden, und während er sich im Ozean wusch, briet ich sie über dem Feuer.
Es war dunkel, als er zurückkam. Wir aßen auf einem Baumstamm sitzend im heißen, qualmigen Schein des Feuers und ließen uns das Fleisch schmecken.
Guts beugte sich über sein Essen, als könnte jeden Moment jemand vorbeikommen und es ihm wegnehmen. Alle paar Minuten drehte er den Kopf und sah über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass sich nichts an ihn heranpirschte. Sein Gesicht hörte nie ganz zu zucken auf, nicht mal, wenn sich seine großen, vorstehenden Zähne in einen Fleischbrocken gruben.
Eine ganze Weile sagte keiner von uns etwas.
»Wie heißt du?«, fragte ich schließlich.
»Guts is schon in Ordnung.« Er drehte den Kopf, um mich anzusehen. »Und du?«
»Egg«, sagte ich, weil es mir besser gefiel als Egbert. Und weil es mich an Millicent erinnerte.
»Seit wann bist du Pirat?«, fragte ich.
»Bin ich nicht.«
»Haben sie dich gefangen genommen?«
»Nee. Gekauft.«
»Von wem?«
Er schwieg, den Kopf gesenkt, die Ponyfransen verdeckten seine
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