Die Legenden der Blauen Meere, Band 1: Dreckswetter und Morgenröte (German Edition)
den Berg hinunterkletterten. Wir machten einen möglichst großen Bogen um Menschen und Tiere, indem wir auf einem Umweg am Ufer entlangliefen.
Je näher wir kamen, umso übler wurde der Gestank. Als wir den Kai erreichten, kam es mir fast hoch, doch ich redete mir ein (keine Ahnung, warum, es war ein ausgesprochen dämlicher Gedanke), dass es besser werden würde, sobald wir an Bord wären.
Da die gesamte Mannschaft an Land schlief, gelangten wir ohne Probleme über einen Landungssteg an Deck. Guts suchte, bis er im Boden eine Luke mit einem großen Eisenring fand, den er mit seiner einen Hand hochzog.
Als er mir bedeutete, hinunterzuklettern, stieg ein noch üblerer Gestank von unten hoch. Im Schiffsinneren war es rabenschwarz und es ließ sich nicht ausmachen, wie tief es bis zum Boden war. Die Oberarme aufs Deck gestützt ließ ich mich langsam mit den Beinen zuerst hinunter und hoffte, ich würde mit den Füßen auf dem Boden aufkommen, bevor ich loslassen musste.
Aber selbst nach einer ganzen Weile baumelten meine Beine immer noch in der Luft.
»Lass dich fallen!«, brummte Guts.
»Da unten stinkt es!«
»Stell dich nicht so an, du Memme«, knurrte er, als er mich nach unten stieß.
Ich fiel nicht tief – der Frachtraum war vielleicht knapp zwei Meter hoch –, aber ich landete in einer Pampe aus Stroh und Dung, so dass mir die Füße wegrutschten und ich mit dem Hintern auf eine andere Art von zähem Matsch plumpste.
Ich würgte vor Ekel, da hörte ich Guts flüstern: »Achtung!«
Seine Füße glitten auch weg, als er aufkam, und er stürzte genau wie ich vorher – allerdings lag ich schon da, weshalb er direkt auf mich draufknallte. Es folgten weitere Schmatzgeräusche und ich wünschte mir plötzlich, wir hätten ein Floß gebaut. Wenn das hier besser sein sollte als Ertrinken, dann aber nur geringfügig.
»Ekelhaft!«
»Warte, bis die Schweine kommen.«
Ich versuchte, mich an das Licht zu gewöhnen, aber es gab einfach keines.
»Ich kann überhaupt nichts sehen.«
»Such nach einer Wand. Taste dich daran entlang.«
»Das ist dämlich! Wenn jemand reinkommt, wird er uns entdecken.«
»Nicht, wenn wir uns im Stroh verstecken.«
»Das ist nicht dein Ernst!«
»Wer soll schon nach uns suchen?«
»Was für eine dämliche Idee!«
»Jetzt isses zu spät.«
Es dauerte, aber irgendwann schafften wir es, uns zu einer Ecke vorzutasten und uns mit Stroh zu bedecken. Als die Sonne aufging, schimmerte bläuliches Licht durch ein paar Ritzen in den Deckenbrettern über uns.
Und damit begann der längste Tag meines Lebens. Ich konnte mich einfach nicht an den Gestank gewöhnen – beziehungsweise daran, in einem Mistbett zu liegen – und Guts sollte Recht behalten: Als die Schweine dazukamen, wurde es noch schlimmer.
Eine Stunde nach Sonnenaufgang kamen sie quiekend herein, durch eine Seitentür, die, als sie geöffnet wurde, den Raum mit Licht durchflutete – und es zeigte sich, dass wir uns ein ziemlich miserables Versteck ausgesucht hatten. Zum Glück brachte keiner der Männer, die die Schweine aufs Schiff trieben, mehr Interesse auf, das Stroh genauer zu untersuchen, als ich hatte, mich dort aufzuhalten. So blieben wir unbemerkt.
Die Schweine beachteten uns nicht weiter und wir gaben unser Bestes, sie gleichfalls zu ignorieren. Doch sobald sich die Türen schlossen und alles finster wurde, quiekten ausnahmslos alle, und als das Schiff ablegte und durch die Wellen zu schlingern begann, bekamen sie noch mehr Angst und quiekten noch lauter. Irgendwann öffnete jemand die Deckenluke, damit die Schweine (und wir) etwas sehen konnten, danach ebbte das Gequieke etwas ab.
Am späten Nachmittag erreichten wir einen Hafen. Obwohl Guts und ich uns zwischenzeitlich ganz gut eingegraben hatten, wurde es brenzlig, als ein Viehtreiber hereinkam, um die weniger kooperativen Schweine hinauszutreiben. Nachdem sie verschwunden waren, flehte ich Guts mit Blicken an, dass wir ebenfalls aufstehen sollten.
Er schüttelte den Kopf.
»Wir warten, bis es dunkel ist«, flüsterte er.
Bis das Tageslicht verschwunden war, rührten wir uns nicht. Danach lagen wir noch eine Weile dort. Endlich stupste Guts mich an. Wir standen auf, tasteten uns an der Wand entlang zu einer Leiter auf der gegenüberliegenden Seite des Frachtraums und kletterten an Deck.
Das Schiff war an einem Außenkai eines ziemlich großen Hafens vertäut – wir waren von einem Wald aus Masten und Takelage umgeben. Hinten auf dem Schiff
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