Die Legenden der Blauen Meere, Band 1: Dreckswetter und Morgenröte (German Edition)
lässt … Es ist doch zum Heulen, weißt du, die Cartagier kontrollieren diesen ganzen Kontinent voller Bodenschätze und machen überhaupt nichts damit. Trotzdem, ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, was das mit dem Piratenangriff zu tun haben soll. Aber so ist es mit Daddy – er ist genial, allen anderen immer drei Schritte voraus und er lässt sich von niemandem in die Karten schauen –«
»Millicent.«
»Was?«
Ich starrte zum Horizont, der sich direkt vor uns rosa färbte.
»Bist du sicher, dass wir gen Westen segeln?«
»Selbstverständlich.«
»Warum geht dann die Sonne vor uns auf?«
Sie setzte sich aufrecht und starrte in den Sonnenaufgang.
»Das ist ja sehr merkwürdig … Sie geht an der falschen Stelle auf.«
Mir klappte die Kinnlade herunter. »Was anderes fällt dir dazu nicht ein?«
»Was sollte es sonst sein?«
»Wir segeln in die falsche Richtung!«
»Unmöglich. Ich habe uns Richtung Westen gelenkt.«
»Was ist wahrscheinlicher – dass die Erde sich plötzlich in die andere Richtung dreht oder dass du die falsche Richtung eingeschlagen hast?«
Sie gab ein leises genervtes Schnauben von sich. »Was weiß ich. Wir ändern den Kurs und alles ist gut.«
Aber es war nichts gut. Zu diesem Zeitpunkt waren wir schon mehr als eine Stunde unterwegs – Dreckswetter hätte längst am Horizont auftauchen müssen. Stattdessen war ringsum nur Ozean.
Wir segelten gen Westen, in die Richtung, die wir von Anfang an hätten nehmen sollen, bis Guts aufwachte und einen Streit vom Zaun brach, ob dies die richtige Methode war, das Problem zu lösen. Jeder von uns dreien vertrat eine andere Meinung, aber keiner war sich sicher, und die Karten, die wir in der Kabine fanden, halfen auch nicht weiter, weil wir nicht wussten, wo wir uns befanden. Westlich von Morgenröte? Östlich? Südlich? Wie weit?
Die Sonne kletterte höher, verbrannte unsere Gesichter, wir schwitzten und waren durstig. Doch wir hatten nur einen Schlauch Wasser, und bevor uns klar wurde, dass wir damit auf unbestimmte Zeit auskommen mussten, waren schon zwei Drittel ausgetrunken.
Wir verkrochen uns in die Kabine, um der Sonne zu entkommen, banden die Ruderpinne los und schwiegen uns an, während wir abwechselnd die Köpfe hinaussteckten, um nachzusehen, ob irgendetwas – ein Fitzelchen Land, ein anderes Schiff – am Horizont auftauchte.
Nichts dergleichen. Stunden vergingen. Wir waren völlig orientierungslos und versuchten, gen Westen zu segeln, da wir in dieser Richtung zumindest irgendwann auf die Neuen Länder stoßen würden. Und auch wenn sie größtenteils unwegsamer Dschungel waren, würde alles andere unseren sicheren Tod auf endloser offener See bedeuten.
Doch die Sonne stand hoch und der Wind wechselte ständig und schon bald waren wir nicht mal mehr sicher, wo Westen eigentlich war.
Millicent und Guts hackten aufeinander herum, bis sie sich lautstark anbrüllten. Nachdem sie sich dabei verausgabt hatten, weigerten sich beide, noch ein Wort zu sprechen. Nicht dass es viel zu sagen gegeben hätte. Da war bloß Bitterkeit und Angst. Angst, dass wir weder Land noch ein anderes Schiff sichten würden oder dass wir, wenn wir eines entdeckten, der Willkür von Piraten ausgeliefert wären – oder, in meinem Fall, irgendjemandem, der wusste, dass es ihm fünftausend Silberstücke einbringen würde, wenn er mich Roger Pembroke übergab.
Die Sonne ging allmählich unter, der Wind erstarb und ließ uns mehr oder weniger in einer Flaute zurück. Ich hatte Kopfschmerzen vom Wassermangel und ich merkte, dass ich seit zwei Tagen so gut wie nicht geschlafen hatte.
Also drückte ich mich in die Ecke des einen Bettes und versank in einen tiefen Schlaf voll seltsamer Albträume – ich träumte von Göttern, die sich als Piraten verkleidet hatten, von wüsten Schlachten und Schweinen, die sich den Bauch mit Juwelen vollstopften, die aus den Gedärmen abgeschlachteter Eingeborenenkinder hervorquollen.
Ich wachte von Millicents Stimme auf.
»Wir sind gerettet!«
Guts hatte ebenfalls geschlafen, wir taumelten beide aus unseren Betten und kletterten zur Plicht hoch.
Es war schon dunkel, unsere Segel waren gestrichen und Millicent schwenkte über ihrem Kopf die Laterne in Richtung einer dreimastigen Galeone, die aus weniger als hundert Meter Entfernung zügig auf uns zusteuerte.
»Sie wäre einfach vorbeigefahren, aber ich habe ihr ein Zeichen gegeben, da ist sie umgekehrt!«, rief sie aufgeregt.
Ich starrte
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