Die Legenden der Vaeter
seine Papiere von Mitarbeitern des Sicherheitsdienstes aus dem Abteil geführt wurde. Sie nahmen ihn mit auf die Kommandantur, steckten ihn in eine Zelle und verhörten ihn vier Tage lang ununterbrochen. |160| Sie gingen sein ganzes Leben mit ihm durch, vierundzwanzig Jahre, die unter ihren Fragen zu einer langen Reihe von Verdachtsmomenten wurden. Er war auf der falschen Seite der Grenze zur Welt gekommen, er war in die Volksliste aufgenommen und in die Wehrmacht eingezogen worden, später hatte er in den Reihen der Exilarmee gekämpft, die unter der Führung der bürgerlichen Exilregierung Polens in London stand.
Die Geheimpolizisten wollten alles wissen, die Orte, an denen er stationiert worden war, die Lager, die er besucht hatte, die Namen der Offiziere, mit denen er in England und Deutschland Kontakt gehabt hatte. Sie zwangen ihn, sich an jede einzelne Bemerkung zu erinnern, die in den Unterkünften der Soldaten über die kommunistische Regierung in Warschau gefallen war, und wenn er nicht mehr konnte und vor Müdigkeit von seinem Stuhl rutschte, gossen sie einen Eimer Wasser über ihm aus. Sie wollten wissen, mit wem er in Deutschland Geschäfte gemacht hatte, sie notierten sich jeden Namen, an den Józef sich erinnerte, und als er kaum noch die Augen offen halten konnte, fragten sie ihn nach Marianne und ihren Eltern. Sie kannten sogar den Rang, den Arnold während des Krieges innegehabt hatte, Rittmeister, ausgezeichnet mit dem Kriegsverdienstkreuz Erster Klasse. Sie nannten Józef einen Faschisten und Konterrevolutionär, der sich mit der Tochter eines
wehrmachtowiec
eingelassen hatte, und zuletzt traten sie ihn mit ihren schweren Stiefeln, bis er ohnmächtig wurde.
Sie ließen ihn auf dem Boden liegen, und am nächsten Morgen wurde Józef vor einen Richter geführt. In den Einreisepapieren, die ihm das Konsulat in Lübeck ausgestellt hatte, fehlte eine Unterschrift. Im Jahr 1949 reichte das in |161| Polen für eine Haftstrafe von vierzehn Monaten wegen des Versuchs der illegalen Einreise. Zusammen mit drei anderen Verurteilten wurde Józef in einen Lastwagen gesteckt und von Stettin nach Stargard gebracht. Das Gefängnis war in einem der wenigen intakten Gebäude in der Innenstadt untergebracht. Er teilte sich eine Zelle mit fünf anderen Häftlingen, einen feuchten Raum, in dem es auch tagsüber nicht hell wurde, weil Blechplatten vor den vergitterten Fenstern die neugierigen Blicke der Passanten draußen auf dem Josef-Stalin-Platz abhalten sollten.
Das Gefängnis steht noch heute, ein wuchtiger Bau, umgeben von einer hohen, schmucklosen Mauer. Nur die Blechplatten hat man abgenommen, und von der Straße aus kann man in den Fenstern die Umrisse der Gefangenen erkennen. Angeblich gab es in den Jahren nach dem Krieg in den Zellen auch ein paar echte Kriminelle, Kohlendiebe, Schwarzhändler, Geldfälscher. Doch beim Hofgang, jeden Tag eine halbe Stunde, lernte Józef nur Häftlinge kennen, die als politisch verdächtig galten. Es waren Soldaten der Exilarmee, die genau wie er wegen ihres Engagements auf der Seite der Westmächte zu Verrätern abgestempelt worden waren, Angehörige der
Armia Krajowa
, die während des Krieges in Polen ihr Leben für den Kampf im Untergrund riskiert hatten und jetzt wie Banditen aus ihren Verstecken getrieben wurden, sowie zahllose einfache Leute, die durch Zufall ins Visier des Sicherheitsdienstes geraten waren. Sie wurden kurzerhand als Kollaborateure und Spione angeklagt und gelegentlich sogar mit deutschen SS-Angehörigen und KZ-Aufsehern in eine Zelle gesperrt.
Die Kommunisten, die Stalin in Warschau an die Macht gebracht hatte, säuberten mit sowjetischer Hilfe das Land, |162| und wenn in Stargard die Schüsseln mit dem Schnaps herumgereicht wurden, den sie aus vergorenen Brotresten gebrannt hatten, erzählten sich die Häftlinge gegenseitig von den Verwüstungen, die die Russen seit Generationen in den Stammbäumen ihrer Familien hinterlassen hatten. Großväter waren 1863 nach dem gescheiterten Aufstand gegen die russische Herrschaft nach Sibirien verschleppt, Väter 1917 von den Bolschewiki an der Grenze zur Sowjetunion lebendig begraben, Söhne 1939 nach dem Einmarsch der Roten Armee deportiert und ermordet worden.
Józef verbrachte vierzehn Monate in Stargard. Er hatte sich an den Gestank des Kübels gewöhnt, über dem die Gefangenen ihre Notdurft verrichteten, an die Fußtritte und Stockschläge der Wärter, an das Stöhnen und die Schreie in der Nacht, an
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