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Die Legenden der Vaeter

Die Legenden der Vaeter

Titel: Die Legenden der Vaeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kolja Mensing
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Archiv des britischen Verteidigungsministeriums aufbewahrt. Auch das Protokoll, das am 30. August 1944 im Kaminzimmer von Polkemmet House angelegt wurde, ist überliefert. Nachdem die Wehrmacht Józef Koźlik in ihren Akten als Josef Kozlik oder Josef Koslik geführt hatte, wird sein Name jetzt zum ersten Mal seit langer Zeit wieder richtig geschrieben, mit dem als »u« gesprochen polnischen »ó« und dem weichen, runden »ź« seiner Muttersprache. Es ist der erste Schritt, um aus dem deutschen Soldaten erneut einen Polen zu machen.
    Der Hauptmann notiert Geburtsort und Geburtsdatum, Familienstand »ledig« und Konfession »katholisch« und erkundigt sich nach dem letzten Wohnort vor Beginn des Krieges. Die Adresse in Siemianowitz weiß Józef noch auswendig,
ulica Piastowska 7
. Als er nach seiner Schulbildung gefragt wird, erlaubt er sich eine erste Abweichung von seinem tatsächlichen Lebenslauf. Er verschweigt, dass er durch den Überfall der Deutschen auf Polen im September 1939 am Besuch einer weiterführenden Schule gehindert worden ist. Stattdessen behauptet er, zwei Jahre lang das Gymnasium besucht zu haben. Die entscheidende Korrektur nimmt Józef jedoch vor, als er in Polkemmet House nach seiner Zeit in der Wehrmacht gefragt wird. Eigentlich sind es nur ein paar Daten, 1942 Musterung und Reichsarbeitsdienst, eingezogen im Frühjahr 1943, Grundausbildung bei der Luftwaffe, abkommandiert zu den Fallschirmjägern, dann die Kriegsgefangenschaft. Józef hätte vermutlich nicht viel erklären müssen. Es war bekannt, dass die Angehörigen der Volksliste keine Wahl hatten, ob sie für die Deutschen in den Krieg ziehen wollten oder nicht. Doch Józef will es |175| nicht darauf ankommen lassen. Er ergreift die Flucht nach vorn und erklärt dem Hauptmann der polnischen Armee kurzerhand, er habe sich mit sechzehn Jahren freiwillig für den Dienst in der deutschen Luftwaffe gemeldet und sei bereits im Herbst 1941 eingezogen worden. Damit beginnt er ein riskantes Spiel. Ein Pole in der Uniform eines deutschen Soldaten ist im Jahre 1944 keine Seltenheit. Ein Pole, der aus eigenem Antrieb für die verhasste Besatzungsmacht in den Krieg gezogen ist, gilt jedoch als Verräter.
    Aber Józef ist noch nicht zu Ende. Er hatte in den vergangenen sechs Wochen viel Zeit, sich aus den Geschichten, die unter den Gefangenen in Woodhouselee Camp die Runde machen, seine eigene Heldenlegende zu stricken. So hat er das Jahr für seinen vermeintlich freiwilligen Eintritt in die Wehrmacht mit Bedacht ausgesucht. Im Mai 1941 war die Luftschlacht um Großbritannien zu Ende gegangen. Nach schweren Verlusten hatte die deutsche Luftwaffe ihre Bombenangriffe auf London und die englischen Industriezentren einstellen müssen. Auf britischer Seite hatten vier Verbände der polnischen Luftstreitkräfte an den Kämpfen teilgenommen, darunter die berüchtigte Schwadron 303, deren Angehörige sich 1939 nach dem deutschen Sieg über Polen mit ihren Maschinen in Richtung England abgesetzt hatten. Die Nachrichten von den Erfolgen der Piloten drangen im Sommer 1941 bis ins besetzte Polen. Unter der Hand kursierten Berichte über sagenhafte Abschussquoten und heldenhafte Zweikämpfe über dem Ärmelkanal.
    Er habe sich im selben Jahr freiwillig für die deutsche Luftwaffe gemeldet, erklärt Józef jetzt dem Hauptmann, um sich zum Piloten ausbilden zu lassen und bei der ersten Gelegenheit ein Flugzeug nach England zu entführen. Sein |176| Vorhaben sei allerdings gescheitert, behauptet er mit zerknirschter Miene. Er sei zwar in die Luftwaffe aufgenommen worden und habe auch die Prüfung zum Flugzeugführerschein bestanden, es habe sich dann aber herausgestellt, dass er aufgrund seiner polnischen Abstammung keine Kampfeinsätze fliegen dürfe. Anstatt an der Front eingesetzt zu werden, sagt Józef, habe er nach seiner Ausbildung nur Maschinen von einem Flugfeld zum nächsten überführen dürfen, als
ferry pilot
, wie er mit einer gewissen Weltläufigkeit auf Englisch hinzusetzt. Dann sei es zu einem Unfall gekommen. Er sei mit einem Flugzeug abgestürzt. Ihm selbst sei nichts passiert, aber seine Vorgesetzten hätten ihn für den Verlust der Maschine verantwortlich gemacht. Man habe ihn daraufhin degradiert und zu einer Fallschirmjägerdivision abkommandiert, in deren Reihen er bei Saint-Lô in Gefangenschaft geraten sei. Er setzt hinzu, dass seine Bürgerpflicht von ihm verlange, in die polnische Exilarmee einzutreten. Sein Wunsch sei es, als Pilot oder

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