Die Legenden der Vaeter
Marianne wortlos ihren Namen darunter, obwohl das Formular ausdrücklich nach der Unterschrift des Vaters verlangte. Erklärungen gab es keine. Dafür sei sie zuständig, sagte Marianne, wenn sie auf einer Behörde oder bei einem Arztbesuch nach dem Vater ihres Kindes gefragt wurde, in einem Tonfall, der keine Nachfragen zuließ. Mein Vater begriff früh, dass es einen |30| Bereich im Leben seiner Mutter gab, an den er besser nicht rührte.
Jetzt bemerkte er auch, dass über ihn geredet wurde. Die Gesellen tuschelten, wenn er nach der Schule in der Werkstatt saß und mit seinem Taschenmesser aus einem Stück Holz eine Pistole schnitzte, und das Gespräch brach ab, wenn er zu ihnen hinübersah. Nachbarn wechselten Blicke, wenn er sich mit einem Fußball unter dem Arm an ihnen vorbei in Richtung Sportplatz auf den Weg machte, ältere Schüler ließen in der Pause anzügliche Bemerkungen über uneheliche Kinder fallen, die er nicht verstand.
Mein Vater besuchte noch immer die Volksschule, als er sich an einem Samstagnachmittag durch den Liguster am Bahndamm zwängte und die Gleise überquerte, mit zwanzig Pfennig in der Tasche, die er von Arnold bekommen hatte, um sich Limonade zu kaufen. Er betrat die Bahnhofsgaststätte. In einer Ecke des dunklen Schankraums fiel eine Bemerkung, und die Wirtin brachte die Männer, die dort beim Bier saßen, mit einer erschrockenen Geste zum Schweigen. Doch es war bereits zu spät. An diesem Tag hatte mein Vater zum ersten Mal das Wort »Polenkind« gehört, das ihn von nun an begleiten sollte und das ihn schließlich, als er dessen volle Bedeutung begriffen hatte, dazu brachte, sich mit dem Fahrrad auf die Suche nach seinem Vater zu machen.
Eines hatte er gleich verstanden. Ihm haftete ein Makel an. Es gab ein dunkles, unaussprechliches Geheimnis, das seine Herkunft betraf, und das Gefühl der Scham, das ihn seitdem begleitete, verschloss ihm den Mund. Mein Vater fragte weder seine Mutter noch seine Großeltern, was es mit seinem Vater auf sich habe, und auch als er mir später von ihm erzählte, geschah das nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit. |31| An jenem Sonntagabend nach dem Besuch bei meinen Großeltern hatte er mir eingeschärft, die Geschichte von Józef Koźlik für mich zu behalten. Ich sollte mit niemandem darüber sprechen, vor allem nicht mit meiner Großmutter. Damit war der Bund zwischen uns endgültig besiegelt. Wir teilten ein Geheimnis, das sich wie eine schützende Mauer um die Welt legte, in der wir beide zu Hause waren.
Als Kind interessierte mein Vater sich für alles, was mit dem Militär zu tun hatte. Arnold erzählte oft von seiner Zeit in Russland, wenn andere Männer zu Besuch waren, die ebenfalls im Krieg gewesen waren, Kunden, Nachbarn, Verwandte, und mein Vater hockte dann auf der kleinen Treppe, die von der Halle hinunter in die Küche führte, und spitzte die Ohren. Er las die Groschenhefte mit den Landser-Geschichten, die in der Schule während der Pause getauscht wurden, er verfolgte in den Illustrierten seiner Mutter die Vorabdrucke der Romane, die in Stalingrad spielten, und mit einem aus einem Stück Draht gebogenen Dietrich verschaffte er sich heimlich Zugang zu dem verschlossenen Schrank auf dem Dachboden, der vollgestopft war mit Büchern aus den ersten Jahren des Krieges, mit reißerischen Berichten über die ersten, siegreichen Feldzüge der Wehrmacht.
Als die Militärbegeisterung meines Vaters am größten war, kam die Bundeswehr nach Fürstenau. Es waren die Jahre der Wiederbewaffnung, und auf dem Gelände am Fuß des Fensterbergs, den mein Vater im Winter mit dem Schlitten hinabfuhr, wurde eine Kaserne gebaut. Zivilpersonal wurde gesucht. Marianne, die mit ihrer Arbeit in |32| der Eisenwarenhandlung nicht zufrieden war, bewarb sich im Frühjahr 1959 bei der Standortverwaltung um eine Stelle als Sekretärin und wurde angenommen. Sie fuhr morgens mit dem Fahrrad hinaus zur Kaserne, einer großen Anlage mit Sportplatz und Schießstand, um in der Schreibstube einer hundertfünfzig Mann starken Flugabwehrbatterie zu arbeiten. Sie schrieb Dienstpläne ins Reine, nahm Urlaubsanträge entgegen und ließ sich vom Hauptmann der Einheit Beurteilungen für die Personalakten diktieren. Zweimal, manchmal dreimal in der Woche stellte sie Materialanforderungen und Versorgungslisten zusammen, die ein motorisierter Kurier zum Bataillonsstab brachte, im Austausch gegen eine sorgfältig versiegelte Mappe mit Tagesbefehlen.
Die Kaserne wurde
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