Die Legenden des Raben 01 - Schicksalswege
herüber, legte ihm die Hand auf die Brust. Er streichelte ihr Haar, und sie atmete tief ein und aus.
»Es wird nicht leichter, was?«, sagte er.
»Nein«, antwortete Erienne. Aber hier kann ich mich wenigstens ablenken. Nur die Dunkelheit weckt die Erinnerungen wieder.«
»Ich weiß, Liebste. Mir geht es nicht anders.«
Sein Herz war schwer wie an jedem Tag, seit sie Herendeneth verlassen hatten, und er wusste, dass Erienne empfand wie er. Jetzt hatten sie eine Aufgabe vor sich, mit der sie nicht gerechnet hatten. Die Elfen starben, auch Ilkar war in Gefahr. Wenn er erkrankte, wäre es eine Gnade gewesen, ihn sofort zu töten. Wieder starben Menschen, die sie liebten. Das durften sie nicht zulassen. Zur Hölle mit allen anderen, aber Ilkar verdiente das lange Leben, das er hoffentlich noch vor sich hatte.
»Ist es nicht komisch?«, sagte er.
»Was denn?« Ihr Kopf bewegte sich, als wollte sie zu ihm aufschauen.
»Wir sind hergekommen, um Ilkar zu helfen, Magier zu suchen, und jetzt müssen wir um einen Tempel kämpfen und das ganze Elfenvolk retten. Es ist schrecklich, aber irgendwie fühle ich mich besser, wenn wir für die Elfen etwas tun können.«
»Der Rabe braucht eine Aufgabe«, sagte Erienne. »Für eine Herde widerwilliger julatsanischer Magier als Hirten zu arbeiten, war wohl nicht genug.«
»Nein.« Denser kicherte. »Wie ging es mit Rebraal?«
»Ich glaube, er mag es nicht, wenn Menschen ihn berühren.«
»Gut so.«
Erienne schlug ihm auf die Schulter. »Aber sonst ging es ihm ganz gut. Er wird bis kurz vor der Dämmerung schlafen. Ich hoffe nur, dass es ausreicht. Er hat eine unglaubliche Entschlossenheit, und ich glaube, er wäre schon heute Nacht aufgebrochen, wenn Kild’aar und Ilkar ihn nicht aufgehalten hätten. Dabei heißt es, er sei vor zwei Tagen so gut wie tot gewesen.«
»Wie sein Bruder, wie sein Bruder«, sagte Denser. Er hielt inne. »Und wie geht es dir?«
Erienne antwortete nicht sofort. Sie lag nur schweigend da, lauschte seinem Herzschlag und dem Regen, der über ihnen auf das Blätterdach trommelte.
»Ich vermisse sie«, sagte sie mit zitternder, aber beherrschter Stimme. »In jedem stillen Augenblick überfluten mich die Erinnerungen an sie.«
»Es tut mir Leid«, sagte er. »Aber das meinte ich eigentlich nicht. Was macht dein Kopf und das Eine in dir?«
»Es tut jeden Tag mehr weh«, gab Erienne zu. »Manchmal ist es ein pulsierender Schmerz, manchmal ein dumpfes Pochen. Doch es lässt mich nie vergessen, dass es da ist.«
»Hast du schon einmal daran gedacht, dich ihm zu öffnen und die Al-Drechar um Rat zu bitten?«
Denser hatte eine zornige Antwort erwartet und wurde angenehm überrascht.
»Jeden Tag«, sagte sie. »Wenn die Schmerzen besonders schlimm sind und Lyanna mein Bewusstsein erfüllt. Dann frage ich mich, ob ich nicht beginnen sollte.«
»Und warum tust du es nicht?«
»Weil sie die Schmerzen verursachen.« Erienne verkrampfte sich. Sie stemmte sich auf die Ellenbogen hoch und sah ihn an. Er konnte in der Dunkelheit gerade eben ihr Gesicht erkennen, das von einer Flut langer Haare eingerahmt wurde. Bei den Göttern, war sie schön. »Ich weiß, dass sie es sind. Irgendwie setzen sie mich unter Druck, aber ich werde nicht nach ihrer Pfeife tanzen.«
»Wenn sie es sind, dann müssten sie es doch inzwischen begriffen haben«, sagte Denser. »Ich habe ja auch nicht sehr lange gebraucht.«
Er sah die Spur eines Lächelns. »Aber sie sind alt und haben Angst zu sterben, bevor sie die Gewissheit haben,
dass das Eine überlebt. Ich bin einfach noch nicht bereit, und ich möchte, dass sie es respektieren. Ich wäre bereit, es zu lernen, aber ich kann es nicht ertragen, sie in meinem Kopf zu spüren. Noch nicht.«
»Ich verstehe. Versuche es nur nicht allein«, sagte Denser. Er rieb ihren Oberarm. »Ich bin da. Wir sind alle da.«
Sie legte sich wieder hin und ließ die Finger über seine Brust und seinen Bauch wandern. Seine Bauchmuskeln spannten sich an.
»Das kitzelt«, sagte er.
»Ich weiß.« Sie machte weiter. »Es tut gut, wieder etwas zu haben, das einem richtigen Bett ähnelt, was? Ich hasse Hängematten.«
Denser lachte. »Ich kann auch nicht gerade sagen, dass ich mich an sie gewöhnt habe.«
»Das fühlt sich schön an.« Sie stützte sich wieder auf die Ellenbogen. »Wollen wir die Gelegenheit nutzen?«
Er antwortete nicht, sondern zog sie wortlos an sich und küsste sie leidenschaftlich auf die Lippen. Sie ließen sich vom Mana
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