Die Legenden des Raben 02 - Elfenjagd
antwortete nicht, doch in seinem Gesicht arbeitete es. Er warf einen kurzen Blick zum Raben, dann wieder zu Ilkar, nickte einmal knapp, drehte sich auf dem Absatz um und führte die Al-Arynaar in den Tempel.
Ilkar wandte sich mit bleichem Gesicht an den Raben,
doch allmählich breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus.
»Danke«, sagte er. »Für den Augenblick sind wir sicher.«
»Schild unten«, meldete Erienne.
Der Rabe umringte Ilkar, der jetzt zitterte und sich die Hände vors Gesicht schlug.
»Bei den Göttern, es ist übel«, sagte er.
»Was ist denn los?«, fragte Hirad.
»Lasst mir einen Moment Zeit«, bat Ilkar.
»Was tun sie jetzt?« Hirad sah den Al-Arynaar nach, die sich entfernten.
»Sie beten«, erklärte Ilkar. »Und wenn du bei Sinnen bist, dann tust du das auch.«
Viertes Kapitel
Abermals kochten die Verbände in ihren Trinkgefäßen über einem kleinen Feuer, das fast nur noch aus Glut bestand. Rauch stieg kräuselnd in den hellen Morgenhimmel hinauf. Nach den letzten Regenfällen lösten sich die Wolken gerade wieder auf. Spät am vergangenen Abend hatte Yron in einer Mulde oberhalb der Uferböschung des Flusses Shorth für Ben-Foran einen halbwegs bequemen Lagerplatz gefunden. Irgendwie hatte Ben neue Kraft geschöpft. Er hatte nicht anhalten wollen, und so waren sie bis weit in den Abend hinein gewandert.
Yron hatte die blutgetränkten Verbände ausgekocht und ersetzt, und jetzt wiederholte er die Prozedur, die als sinnlos zu bewerten er sich strikt weigerte. Allerdings ging es mit Ben unverkennbar zu Ende, das wäre sogar einem Blinden aufgefallen. In der Nacht hatte er unter Fieberträumen gelitten und aufgeschrien. Yron hatte auf seinen Schlaf verzichtet und bei ihm gewacht, um seine Ängste zu lindern. Die Infektion breitete sich rasch aus, obwohl Yron sich nach Kräften bemüht und sein ganzes Wissen über die Kräuter des Regenwaldes eingesetzt hatte.
Proviant hatten sie auch nicht mehr. Sie hatten abgeschälte Rinde und Blätter der Guarana-Liane zu sich genommen und waren so einigermaßen bei Kräften geblieben. Das musste einfach reichen. Sie hatten weder Zeit noch Energie, um zu jagen oder irgendetwas anderes außer Heilpflanzen zu suchen.
Inzwischen war allerdings auch Yron geschwächt. Die Bisse der Piranhas heilten nicht ab, und auch die Insekten setzten ihm zu. Allein hätte er es vielleicht bis zum Schiff geschafft, aber nur, wenn er ungehindert hätte laufen können. Das Problem war, dass er Ben keinesfalls im Stich lassen wollte.
Während die Verbände auskochten, fütterte er Ben mit Guarana und ließ ihn Menispere gegen das Fieber trinken. Mit einem Sud aus Blättern derselben Pflanze behandelte er auch Bens furchtbare Beinverletzungen und entschuldigte sich zum tausendsten Mal bei seinem Leutnant, als den die Schmerzen schüttelten.
Ben schrie nicht und beklagte sich nicht, er schaffte es sogar zu lächeln.
Als sie am vergangenen Tag quälend langsam am Flussufer entlanggelaufen waren, hatte Yrons Bewunderung für den jungen Mann noch zugenommen. Er besaß einen erstaunlichen, unauslöschlichen Kampfgeist. Er blieb so wachsam, wie er konnte, und wollte immer noch lernen. Selbst für einen erfahrenen Soldaten wie Yron war es aufmunternd. Ben wäre ein großartiger Anführer geworden. Er hätte es werden können.
»Ihr achtet sie, nicht wahr?«, fragte Ben auf einmal. Zwischen kurzen Atemstößen quetschte er mühsam die Worte heraus.
»Die Elfen?«
»Diejenigen, die uns jagen.«
»Oh, ja«, bestätigte Yron. »Sie sind außerordentlich geschickt.«
»Sie werden uns erwischen, nicht wahr?«
»Ja«, bestätigte Yron. »Aber nur, wenn uns das Glück im Stich lässt. Es ist kaum zu glauben, welch großes Glück wir bisher hatten. Sie sind rücksichtslos, und wir haben ein Verbrechen begangen, das in ihren Augen nur mit dem Tod gesühnt werden kann. Wenn sie uns einholen, werden sie keine Gnade zeigen.«
»Was glaubt Ihr denn, warum sie uns noch nicht eingeholt haben?«, fragte Ben.
»Sie sind nicht völlig sicher, wohin wir uns wenden. Sobald sie es wissen, werden sie schneller vorstoßen.« Yron rührte in den Trinkschalen mit den Verbänden und fischte sie heraus. »Das ist die einzige Chance für uns und für alle anderen, die noch da draußen am Leben sind. Lasst die TaiGethen im Ungewissen und bleibt am Leben. Ganz einfach.«
Natürlich war es nicht ganz so einfach. Bald würden die TaiGethen ihr Ziel erraten, und die Krallenjäger würden
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