Die Legenden des Raben 04 - Zauberkrieg
dicht vor dem Ziel.« Eine Träne quoll aus einem Auge, als ihn eine neue Schmerzwelle durchflutete. Er hustete und spuckte Blut auf das Tuch, das er sich vor den Mund hielt. »Allerdings lebe ich vielleicht nicht mehr lange genug, um es zu sehen.«
»Das werdet Ihr, alter Knochen, Ihr werdet leben«, sagte Dystran. Allmählich begann er sogar selbst zu glauben, dass die Schlacht noch an diesem Tag gewonnen werden konnte.
Jemand klopfte vorsichtig an die Tür.
»Ich hoffe, es ist wirklich wichtig«, murmelte Dystran. Er stand auf und schritt zur Tür, riss sie auf und sah Suarav vor sich stehen. Der Hauptmann der Wache schien besorgt. »Ja, bitte?«
»Es tut mir leid, Mylord, aber Ihr müsst zu den Mauern der Stadt kommen.«
»Gibt es dafür einen bestimmten Grund?«, fragte Dystran. »Eine seltsame Wolkenformation vielleicht oder ein paar Rehe, die über das gestrige Schlachtfeld springen?« Er senkte die Stimme und flüsterte scharf. »Seht Ihr nicht, dass ich mit einem sterbenden Mann rede?«
Auch Suarav sprach jetzt leiser. So leise, dass Dystran ihn kaum verstehen konnte. Nur ein Wort schnappte er auf und wünschte sich sofort, er hätte sich verhört.
»Wie bitte?«, sagte er.
Die Gesänge der Wesmen hatten einen neuen Höhepunkt erreicht, nachdem die Krieger im Osten den Understone-Pass verlassen hatten. Beflügelt von ihrem erstarkten Glauben an den Sieg, hatten sie die Schritte beschleunigt. Understone hatte in Trümmern gelegen, der Gestank des Todes war schon aus hunderten Schritten Entfernung zu ihnen herübergeweht. Aasvögel hatten sich kreischend um verwesendes Fleisch gezankt.
Wie die Späher berichtet hatten, war niemand mehr da, der gegen die Wesmen kämpfen konnte. So erhoben die viertausend Krieger unter der Führung Tessayas, des Lords der Paleonstämme und Herrschers aller Wesmen, ihre Stimmen und schlugen den Weg nach Norden ein, wo der ruhmreiche Sieg auf sie wartete.
Tessaya spürte die Kraft in jedem Muskel, als er rannte. Auch er sang, und sein Bass ergänzte das Stimmengewirr, das seine Ohren entzückte und jeden Feind, der es hörte, in Angst und Schrecken versetzte. Die Wesmen waren wieder im Osten Balaias, und dieses Mal würden sie bleiben. Er konnte es fühlen.
Nur sechs Meilen vor den Mauern von Xetesk lagerten
sie und tanzten in Erwartung des Ruhmes am Feuer. Ihre Destranas heulten und gingen auf die Jagd, und die Schamanen übertrugen die Kraft der Geister auf alle versammelten Krieger. Sie waren geeint und bildeten ein Heer, das niemand aufhalten konnte.
Vor Beginn der Morgendämmerung erhoben sie sich wieder voll Eifer, zufrieden mit wenigen Stunden Schlaf. Sie hörten Tessayas Ansprache und rannten weiter, schneller als je zuvor, weil sie glaubten, hinter der nächsten Hügelkuppe das Ziel zu erblicken.
Endlich kam es in Sicht. Drunten konnten sie einige Häuser ausmachen – Bauernhöfe, die zweifellos ihnen dienen würden, wie sie zuvor Xetesk gedient hatten. Sie würden die Häuser nicht beschädigen und den Bewohnern nichts antun, denn so hielten es die Wesmen jetzt. Sie hatten nur ein Ziel und wollten ihre Kräfte nicht verschwenden.
Die Armee sammelte sich etwa zwei Meilen vor den beeindruckenden Mauern und Türmen der Kollegstadt. Rauch stieg im Morgennebel auf, die Sonne glänzte auf den sieben Türmen, dem Machtzentrum des Kollegs. Es war ein Ehrfurcht gebietender Anblick, der die Wesmen früher eingeschüchtert und an viele Niederlagen in vielen Jahrhunderten erinnert hatte.
Diesmal jedoch war es anders. Dieses Mal waren die Felder vor der Stadt schon mit xeteskianischem Blut getränkt, und die Erde war zertrampelt und so tot wie der Geist hinter den Mauern. Tessaya stieg auf einen abgestorbenen Baum in der Nähe und stellte sich, eine Hand an den Stamm gestützt, auf einen nackten Ast. Alle Wesmen-Krieger sahen ihn erwartungsvoll an.
»Meine Brüder aus den Stämmen, nun sind wir am Ziel.« Ohrenbetäubende Schreie antworteten ihm. Tessaya bat
mit erhobener Hand um Ruhe. »Vor euch seht ihr den Berg, auf den wir steigen müssen. Ihr seht die hohen Mauern und die starken Tore. Auf diesen Mauern werden Magier, Bogenschützen und Schwertkämpfer stehen. Doch es sind nicht viele, und auch wir haben Bogenschützen. Sie können uns mit ihrer Magie nicht mehr vernichten.
Wir werden nicht versuchen, die Wälle zu erstürmen, denn das wäre unser sicherer Tod. Wir werden warten, und wir werden töten, und wenn die Mauern geräumt sind, werden wir unsere
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