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Die Legenden des Raben 05 - Drachenlord

Titel: Die Legenden des Raben 05 - Drachenlord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Barclay
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rasch wieder ausgebrochen. Er war nicht als Sieger zurückgekehrt, was seinem Einfluss und Ansehen geschadet hatte.
    Die Konflikte zwischen den Stämmen hatten ihm Krieger geraubt, und nach seiner Rückkehr hatte es mehr als einen Mordanschlag gegen ihn gegeben. Die Tatsache, dass alle derartigen Versuche gescheitert waren, erinnerte ihn daran, wen die Geister erwählt hatten, um die Wesmen zur Herrschaft über ganz Balaia zu führen.
    So hatte er während der Unruhen einen kühlen Kopf bewahrt und abgewartet, bis sich das Blut wider abkühlte und die Wut der Streithähne verraucht war. Seine Krieger nahmen es nur widerwillig hin, von den Streithähnen als Feiglinge verhöhnt zu werden. Nach so vielen Jahren umsichtiger
Regentschaft war er sich jedoch ihrer unerschütterlichen Treue sicher, und auch dieses Mal zahlte sich seine Gelassenheit aus. Als die Kämpfe zwischen den Stämmen so weit abgeklungen waren, dass es nur noch hin und wieder vereinzelte Scharmützel gab, waren die Paleon abermals die stärksten Stämme im ganzen Kernland.
    Wieder einmal waren die Stammesfürsten gezwungen, vor ihm niederzuknien. Alle, die sich der Opposition gegen ihn angeschlossen hatten, waren an jenen Ort verbannt worden, an dem der Geist niemals Ruhe fand.
    Da das Kernland inzwischen wieder relativ friedlich war und die Männer, denen er am meisten vertraute, die Stämme beherrschten, die er am meisten fürchtete, konnte er abermals über die Eroberung des Ostens nachdenken. Zum ersten Mal im Leben fragte er sich, ob es überhaupt möglich sei. Magier konnte man ermüden, und Männer konnte man mit der Kraft der Waffen und dem Mut des Kriegers bezwingen. Gegen die Dämonen aber half keine Waffe.
    Noch schlimmer, wenn die Dämonen die Magier im Osten besiegten, würden sie schließlich auch ihn und sein Volk bedrohen. Es war ein eigenartiger Widerspruch. Einerseits hatte er das Magierland im Wissen verlassen, dass die Herrschaft der Magie auf Balaia endlich zu Ende ging. Andererseits hatte er vor einem Gegner gestanden, vor dem sich sogar die Geister fürchteten. Bisher gab es keinen Grund zu der Annahme, dass die Dämonen auch das Kernland besetzen wollten, doch unter den Toten war eine Unruhe ausgebrochen, die ihm große Sorgen machte.
    Tessaya saß vor seinem Bauernhaus auf der mit Stroh gedeckten Veranda, wo ihn die hoch am Himmel stehende Nachmittagssonne nicht erreichen konnte. Es war ungewöhnlich heiß für Spätfrühling, und sie hatten schon befürchtet,
ihre Haupternte könne leiden. Glücklicherweise hatten die Streitigkeiten unter den Stämmen früh genug aufgehört, sodass sie noch die Bewässerung organisieren, die Ernte retten und eine Hungersnot vermeiden konnten.
    In seinem kleinen Dorf herrschte ein reges Treiben. Hundert Bauernhöfe waren es, in konzentrischen Ringen angeordnet, und im Zentrum sein eigener. Jungtiere liefen auf Koppeln herum, der Weizen, der Mais und die Kartoffeln gediehen, die Pflanzen wiegten sich in der kühlen Brise. Kinder lachten, Männer und Frauen senkten die Köpfe und machten sich an die Arbeit.
    Aus dem kleinen Steintempel, der das spirituelle Zentrum jeder Wesmen-Siedlung bildete, kam Arnoan, der alte Schamane, eilig zu Tessaya herüber. Tessaya rief seine Frau und bat sie, Früchte auszupressen und gewürzten Saft zu servieren. Bei der Geschwindigkeit, mit der er rannte, wäre der alte Mann bald außer Atem.
    Arnoan hatte ein knallrotes Gesicht, als er die kurze Strecke im Dauerlauf hinter sich gebracht hatte. Tessaya rückte ihm einen Stuhl zurecht und half ihm die paar Stufen zur Veranda herauf.
    »Setz dich, ehe du umfällst«, sagte er.
    Arnoan, der trotz der Hitze die schweren hellen Gewänder seines Amtes trug, winkte abwehrend.
    »Nicht meinetwegen solltest du dir Sorgen machen, Tessaya.«
    Er war der Einzige, der Tessayas Namen ohne Ehrentitel benutzen durfte, und dies auch nur, wenn sie unter sich waren.
    »Wurde dir Weisheit zuteil, mein Schamane?« Er gab Arnoan den Becher Saft, den seine Frau eingeschenkt hatte. Der Schamane stürzte ihn dankbar hinunter. Die letzten Büschel seines weißen Haars flatterten um den Kopf, und
die fleckige Gesichtshaut wurde deutlich heller, als er sich abkühlte. Er betrachtete Tessaya mit tief in den Höhlen liegenden grauen Augen, die nach Ansicht des Wesmen-Lords schon Jahre über den Tod hinaus waren.
    »Wie lange ist es her, dass die Drachen aus dem Fleck am Himmel kamen und du mir sagtest, du brauchtest keine Geister?«
    Tessaya

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