Die Legenden des Raben 05 - Drachenlord
der Kuppel vorbei und lief rasch und leise um den Komplex herum. Die Türen der Bibliothek standen offen, sie hingen schief in den Scharnieren. Die Schutzsprüche waren jetzt nutzlos, sie waren zerstört worden,
als die Dämonen in den ersten Tagen der Besetzung die Türen aufgebrochen hatten.
Inmitten der explodierenden Sprüche fiel es nicht auf, dass sie ihre Augen magisch verstärkten, um sich in der dunklen Bibliothek zu orientieren. Sharyr führte die drei Archivare, Hauptmann Suarav und einen Späher am Rand der breiten Treppe hinauf, wo die Schatten am tiefsten waren und der Nebel sich an den Stein klammerte.
Drinnen konnte er die Umrisse von Bücherregalen und Tischen erkennen. Es schien keine schweren Schäden zu geben, nur der Wind spielte mit den Seiten einiger Bücher, die auf den Teppich gefallen waren.
Irgendwo hier drinnen mussten Dämonen hausen. Ein früherer, vorzeitig abgebrochener Ausfall hatte ergeben, dass die Dämonen anscheinend systematisch die Werke durchsucht hatten. Sie hatten zwei Jahre Zeit gehabt, um zu finden, was sie suchten, und doch ging die Suche anscheinend immer noch weiter. Sharyr fragte sich, worauf sie es wohl abgesehen hatten.
Er inspizierte seine Gruppe. Sie signalisierten, dass sie bereit seien, dann drangen sie in die Bibliothek ein. Vorsichtig setzten sie einen Fuß vor den anderen, jederzeit darauf gefasst, dass ein Brett knarren konnte. Außerhalb des schützenden Kaltraums fühlte Sharyr sich nackt, gleichzeitig aber auch belebt, weil er wieder Verbindung zum Manaspektrum aufnehmen konnte.
Es war eine eigenartige Mischung von Gefühlen. Er hatte sich an die Sicherheit im Kaltraum gewöhnt, die jedoch ohne die schmerzliche Trennung vom Manaspektrum nicht zu haben war. Hier konnte er den Manastrom genießen und musste sich mit den Gefahren herumschlagen, die damit verbunden waren. Der Tod war nie weiter als einen Schritt entfernt.
Suarav schloss zu ihm auf, als sie die Bibliothek betraten. Sharyrs magisch verstärkte Augen konnten alle Einzelheiten scharf, wenngleich nur einfarbig erkennen. Suaravs Gesicht war angespannt und konzentriert; trotz der kühlen Luft hatten sich Schweißperlen auf seiner Stirn gebildet. Er empfand Achtung für diesen Mann. Theoretisch wurden er und der andere Soldat als Späher eingesetzt. Praktisch sollten sie sich opfern, um die Magier zu retten, falls es notwendig wurde.
Das große, dreistöckige Gebäude war still bis auf das gelegentliche Rascheln der losen Blätter. Durch die Buntglasfenster fiel ein wenig Licht herein, das die dunklen Schatten unter den Treppen und in den Ecken jedoch nicht erhellen konnte.
Sharyr blieb mitten auf dem mit Teppichen ausgelegten Gang, seine Gruppe folgte dicht hinter ihm. Pausenlos suchten sie die Umgebung ab, blickten an den Regalen vorbei, hinauf zum Deckengewölbe und zu den oberen Stockwerken, voraus ins Zentrum der Bibliothek, und natürlich auch auf den Boden, um nicht versehentlich gegen ein heruntergefallenes Buch oder auf nacktes Holz zu treten.
Die Spannung nahm zu, Suarav tastete immer wieder nach dem Griff seines Schwerts. Sharyr musste sich sehr bemühen, die Gestalt seines Kraftkegels stabil zu halten. Der Wind, der von draußen hereinwehte, erzeugte unangenehme Luftströmungen in der Bibliothek, die sich anfühlten, als stießen geflügelte Wesen auf ihn herab. Sharyr atmete tief durch und ging weiter.
Überall konnte man die Spuren der Dämonen sehen, die in der Bibliothek herumgewühlt hatten. Regale waren verschoben, Glastüren zerschmettert. Pergamente, Bücher und verschnürte Schriftrollen waren in Regalen oder auf dem Boden gestapelt oder lagen in den Ecken herum. Der Schaden
war wohl doch größer, als man es auf den ersten Blick erkennen konnte. Ausgerissene Seiten lagen in Stapeln auf den unteren Regalbrettern. Alte Texte waren zerfetzt, die Buchrücken gebrochen. Uraltes Wissen, einfach weggeworfen. Was sie auch suchten, die Dämonen waren methodisch vorgegangen.
Sharyrs Herz sank. Diese organisierte Zerstörung würde ihnen die Arbeit schwer machen, und sie konnten es sich nicht erlauben, auch nur einen Augenblick länger hierzubleiben als unbedingt nötig. Wenn er sich umsah, fragte er sich allerdings, ob sie überhaupt etwas Nützliches finden würden.
Vor der großen Treppe, die zum nächsten Stockwerk hinaufführte, verließen sie den Hauptgang und zogen sich unter die Marmorstufen zurück. Die Dämonologie-Abteilung befand sich direkt vor ihnen. Es war die
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