Die Legenden des Raben 05 - Drachenlord
lassen und sich an das Leben vor dem Einfall der Dämonen erinnert.
Seine Leute untersuchten schon die Texte, die der Trupp aus der Bibliothek mitgebracht hatte, doch im Moment war er viel stärker um die Verfassung der Leute besorgt. Sie hatten in der Bibliothek einen Schwertkämpfer verloren. Das Gebäude brannte noch, aber es war klar, dass die Dämonen versuchten, das Feuer zu löschen. Sklaven hatten eine Eimerkette gebildet, die sich durchs Gelände schlängelte und sich zu sechs Brunnen in und vor dem Kolleg verzweigte.
Auch einer seiner Archivare war just in dem Augenblick gestorben, in dem er glaubte, endlich in Sicherheit zu sein. Es war eine Ironie des Schicksals, dass die Bibliothekstruppe auf dem Rückweg in die Kuppel genau den gleichen
Weg genommen hatte wie der Rabe bei seinem Einbruch. Lange schien das her zu sein.
Suarav hatte dank seiner Willenskraft überlebt, er hatte die Dämonen lange genug aufgehalten, damit die Magier nach draußen gelangen und die Kalträume erreichen konnten. Jetzt musste er dafür büßen. Er kauerte unter einer Decke und starrte seine zitternden Hände an. Seine Finger waren blau angelaufen, und mit seinen zuckenden Muskeln konnte er kaum seinen Becher halten. Dystran legte die Hände darum und half ihm, den Trank an die Lippen zu führen.
Suaravs Hände waren eiskalt. Unnatürlich kalt. Sein Gesicht trug die Narben von einem Dutzend Dämonenkrallen, und seine Lippen waren rissig und bleich. Der Soldat konnte kaum etwas zu sich nehmen, ein großer Teil der Flüssigkeit tropfte am Kinn herab.
»Lasst Euch Zeit«, sagte Dystran. »Ihr könnt Euch jetzt entspannen, Ihr seid in Sicherheit.«
»Sie konnten meine Seele nicht nehmen«, sagte Suarav. »Sie konnten es nicht.«
»Nein, das konnten sie nicht.« Dystran war ehrlich überrascht.
»Und wisst Ihr warum?« Suaravs Gesicht verzog sich zu einem schmerzvollen Lächeln. Die Schnitte im Gesicht spannten sich, frisches Blut quoll heraus. »Weil sie es nicht alle tun können.«
»Was?« Dystran fuhr auf. Er musste sich beherrschen, um nicht abrupt die Hände wegzuziehen.
»Einige Angehörige der unteren Kasten besitzen diese Fähigkeit offensichtlich nicht. Sonst wäre ich nicht hier.«
Suarav nahm noch einen Schluck und hustete. Ein Schauder lief durch seinen Körper, er seufzte und sackte ein wenig zusammen.
»Schon gut, es ist genug«, sagte Dystran. »Sammelt Eure Kräfte, ruht Euch aus. Wir bewachen Euch hier.«
»Es ist so kalt«, sagte Suarav.
»Ja, das ist es«, erwiderte Dystran. Allerdings war es nicht kalt genug, um den Zustand des Hauptmanns zu erklären. »Ich hole Euch noch eine Decke, vielleicht auch ein Paar Handschuhe.« Er schnippte mit den Fingern. »Kümmere dich darum«, befahl er einem Wächter.
Er drückte noch einmal Suaravas Hände an den Becher und wandte sich an Sharyr, der mit Brynel, dem zweiten Archivar, auf einem kleinen Sofa saß. Die Männer standen unter Schock, sie zitterten und starrten ins Leere. Brynel schluckte trocken. Er brauchte rasch Hilfe, und Sharyr ging es nur geringfügig besser. Wenigstens schaffte er es, zu lächeln und aus eigener Kraft zu trinken.
»Ihr habt viel erreicht«, sagte Dystran.
»Falls die Texte, die wir mitgebracht haben, irgendwie nützlich sind.« Er wollte lachen, bekam aber nur ein Gurgeln heraus.
»Selbst wenn nicht, es zeigt immerhin, dass wir noch kämpfen und daran glauben, dass wir diese Biester besiegen können.«
»Ohne ihn wären wir alle gestorben.« Sharyr nickte zu Suarav hinüber, der inzwischen die Augen geschlossen hatte. Sein Atem ging mühsam, aber wenigstens gleichmäßig. »Unglaublich, was er geleistet hat. Er hat uns viele Male gerettet.« Unvermittelt strömten Tränen über Sharyrs Gesicht, und ein heftiges Schluchzen schüttelte seinen Körper. »Entschuldigung, Entschuldigung.« Der Tee spritzte über seine Hände, dann ließ er den zitternden Pott fallen, der vor dem kalten Kamin zersprang. Er zuckte heftig zusammen.
»Sch-scht«, machte Dystran. Er legte dem Mann beruhigend eine Hand auf die Schulter und streichelte seinen
Oberarm. »Lasst es nur heraus. Es ist schon gut, Ihr seid jetzt in Sicherheit.«
Sharyr packte Dystrans Gewand. »Sie haben uns immer wieder angegriffen, und wir hatten zu große Angst, um Sprüche zu wirken. Sie haben mit den Zähnen geklappert und mit diesen Spinnenfingern nach uns gegriffen. Sie waren ganz nahe. Wir sind weggelaufen, und er hat sie abgehalten, obwohl sie ihn gebissen und ihm
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