Die Legenden von Attolia 1: Der Dieb (German Edition)
Sie sahen uns nicht, bis wir beinahe vor ihren Füßen standen, und einen Moment lang konnten sie uns nur anstarren. Dann feixten sie. Dann sprangen sie beide auf die Beine, und einer pflanzte seinen Speer vor uns auf und sah plötzlich forsch und militärisch drein, während der andere losrannte, um seinen Hauptmann zu suchen. Niemand sprach ein Wort, während wir warteten. Die Soldaten an den Feuern schauten noch nicht einmal von ihren Würfelspielen auf.
Als der Hauptmann erschien, fiel ihm nicht viel mehr ein als seinen Wachsoldaten. Während er uns musterte, lehnte ich mich an Sophos, und der Magus stützte uns beide.
Der Hauptmann schüttelte den Kopf. Zum Magus sagte er: »Willkommen in Eddis.« Dann wandte er sich seinem Leutnant zu, der hinter ihm erschienen war. »Hol Pferde«, befahl er knapp, »und vier oder fünf Wachen, um sie zu eskortieren. Es ist nicht an uns, aus alledem schlau zu werden … Nehmt auf der Brücke Aufstellung, wo ihr hingehört«, sagte er zu den beiden Wachen, und sie eilten zum höchsten Punkt der gewölbten Brücke und hielten von dort aus über die mondbeschienene Ebene Ausschau. »Ihr drei könnt mir folgen«, sagte er zu uns und winkte uns mit einem Finger heran.
Ein paar Soldaten im Lager bemerkten die Unruhe an der Brücke, und Köpfe fuhren herum. Die Anzeichen von Entspannung verschwanden, und die Soldaten verhielten sich plötzlich, wie es sich für Leute ihres Schlages gehörte, aufmerksam und misstrauisch. Noch bevor der Leutnant mit fünf Männern und sechs kleinen Pferden zurückkehrte, waren die Hufschläge, die der Magus gehört hatte, auch den Wachen aufgefallen und dem Hauptmann gemeldet worden.
»Das muss die attolische Garde sein«, sagte der Magus; vielleicht rechnete er damit, sofort an sie ausgeliefert zu werden.
»Mit denen befasse ich mich«, sagte der Hauptmann. »Und ihr kümmert euch um die hier.« Er wies angeekelt in unsere Richtung. Dann bedeutete er weiteren Wachen, zu ihm zu stoßen, und stapfte davon.
Unter viel Klirren und Gepolter wurde aufgesessen, und ein bulliger Soldat zog Sophos unter meinem Arm hervor. Er packte ihn am Arm und am Hosenboden und schwang ihn auf ein Pferd hinauf. Jemand ergriff meinen Ellbogen, um dasselbe zu tun, aber als er zog, wirbelte ich herum und brach in die Knie.
»Halt! Tut das nicht!«, schrie Sophos; seine Stimme versagte, als er versuchte, vom Pferd herunterzukommen. Der bullige Soldat hielt ihn fest und wies ihn an, sich zu beruhigen.
Der Mann, der meinen Arm festhielt, sah sich mein Gesicht etwas genauer an und schlug vor, dass jemand eine Decke holen sollte. Die Decke, die gebracht wurde, war warm, weil sie nahe beim Feuer gelegen hatte. Sie hüllten mich darin ein und hoben mich behutsam in die Arme des Leutnants.
Als die Pferde den Torbogen passierten, sah ich eingemeißelte Greifen über uns, und dann schlief ich wohl ein. Ich träumte davon, wie Felswände beiderseits vorüberzogen, und hörte im Schlaf das Poltern der Ponyhufe, als sie die steinerne Straße entlangliefen, die durch die Bergklamm hinaufführte, die der Aracthus ausgewaschen hatte, bevor er seinen Lauf verändert hatte.
Als wir den Palast erreichten, war der Haupthof von Laternen erleuchtet, aber die meisten Fenster waren dunkel. Es war weit nach Mitternacht. Alle stiegen vom Pferd, und zwei Männer halfen mir hinab. Darauf folgte allerlei verlegenes Herumdrucksen, und niemand wusste so recht, was er tun sollte. Sophos kam zu mir und schob sich unter meine gesunde Schulter. Der Magus stand neben uns. Alle anderen wichen ein wenig zurück, als hätten sie Angst, dass unsere Schwierigkeiten ansteckend sein könnten.
Schließlich öffnete jemand die Doppeltür, die in die Eingangshalle führte, und wir gingen alle hinein. Das Poltern der Stiefel auf den Marmorböden kündigte unsere Ankunft jedem an, der den Lärm auf dem Hof noch nicht gehört hatte. Diener und Schaulustige erschienen am oberen Ende der beiden Treppen. Im kleineren Thronsaal brannte noch Licht, und wir bewegten uns im Pulk darauf zu. Die Leute auf den Treppen wurden von uns mitgezogen, und als wir die dunkle Eingangshalle verlassen hatten und uns in der Tür zum hell erleuchteten Thronsaal drängten, fühlte ich mich wie der Mittelpunkt eines Wanderzirkus. Uns fehlten nur noch die Tanzbären.
Zunächst konnte ich von dem Saal nur die Wände nahe der Decke sehen, die mit auf und ab fliegenden Bergschwalben bemalt waren, aber es führten einige Stufen in den Raum
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