Die Legenden von Attolia 4: Die Verschwörer (German Edition)
mochte, und das verschaffte mir die nötige Zeit, die Treppe hinabzusteigen und auf die Freifläche vor meine Barone zu treten. Als ich den Mittelpunkt des Theaters erreichte, war das Gemurmel verklungen.
Ich kann mich nicht genau an das erinnern, was ich sagte. Es war idealistisch, und es war naiv. Ich rief ihnen ins Gedächtnis, dass wir eine Halbinsel mit Eddis und Attolia teilten, dass wir dieselbe Sprache sprachen und dass die Götter unserer Väter dieselben waren. Ich sagte, dass es dumm sei, anzunehmen, dass wir je etwas anderes als Untertanen der Meder sein könnten, dass meine Barone über ihre Eigeninteressen hinausblicken müssten und das Interesse von ganz Sounis und auch die Interessen von Eddis und Attolia nicht vergessen dürften. Wir würden alle Gewinn aus einer Vereinigung ziehen. Ich sagte das, was ich schon die ganze Zeit über hatte sagen wollen, weil ich wusste, dass ohnehin nichts, was ich sagte, einen Unterschied machen würde.
Xorcheus rief zur Abstimmung auf, und einer nach dem anderen beantworteten meine Barone meinen Idealismus. Sie standen auf und riefen »Regentschaft« oder »König«, und ich wartete in der Mitte des Amphitheaters ihr Urteil ab. Ein Regent würde, auch wenn er nur für kurze Zeit herrschte, Akreteneshs Macht festigen und mich für den Rest meiner Herrschaft zu einem Marionettenkönig herabwürdigen. Wenn er erst seine eigenen Verbündeten in alle Hofämter eingesetzt und die völlige Kontrolle über die Armee errungen hatte, würde ich für immer verloren haben.
Ein paar riefen »König«, aber dann gingen eine nach der anderen die Stimmen für den Regenten ein. Ich sah jedem Baron in die Augen, und sie blickten trotzig, verächtlich, bedauernd und in seltenen Fällen auch so, als ob sie sich schämten, aber sie stimmten für Comeneus und den Meder. So war die Versammlung. Wenn alle Abmachungen getroffen waren, musste man seine Stimme laut vor aller Ohren abgeben.
Als mein Vater an der Reihe war abzustimmen, hielt ich den Atem an. Er stand auf und sah so lange auf mich herab, dass ich dachte, die Sonne sei am Himmel stehen geblieben. Als er »König« sagte, sagte er es so nachdrücklich, dass die Leute neben ihm zusammenzuckten. Ich schluckte einen Kloß im Hals hinunter und sah den nächsten Mann an.
Ich beobachtete Baron Comeneus, als die Abstimmung sich ihm näherte. Die Barone stimmten in derselben Rangfolge ab, in der sie sich mit mir getroffen hatten. Als Comeneus abstimmte, stand schon fest, wie das Ergebnis aussehen würde, und er rief mit sichtlicher Selbstherrlichkeit: »Regent!« Er sah die ganze Zeit über nur mich an, aber zu seiner Rechten saß sein Erbe, ein weitaus jüngerer Bruder. Er blickte mich kein einziges Mal an.
Als die Abstimmung vorüber war, war es still im Amphitheater. Ich hörte Akretenesh direkt hinter mir sprechen. Er musste die Treppe heruntergekommen sein, ohne dass ich es bemerkt hatte.
»Dachtet Ihr etwa, sie würden Euch zum König machen?«, fragte er verächtlich. Seine Stimme war leise, aber er hatte die Akustik vergessen oder vielleicht nicht davon gewusst. Jedes seiner Worte war selbst für die Männer auf den höchsten Plätzen zu verstehen, und ich sah zu, wie sie wie ein einziger Organismus zurückzuckten.
»Nein«, sagte ich und drehte mich um. »Nicht bei der ersten Abstimmung.«
Ich schob die linke Hand in meinen geöffneten Mantel und zu einer der Taschen, die darin eingenäht waren. Schmal und dreimal so tief wie breit waren sie beinahe nutzlos; alles, was man hineinsteckte, glitt hinab und war damit außer Reichweite, alles bis auf die Pistole mit dem langen Lauf, die Attolia mit geschenkt hatte. Sie passte haargenau hinein. Ich zog sie aus der Tasche, zielte, beinahe ohne hinzusehen, richtete den Blick starr auf Akretenesh und erschoss Hanaktos.
Schon Akreteneshs Stimme war bis in die letzte Reihe zu hören gewesen; der Knall der Pistole war ohrenbetäubend.
In das entsetzte Schweigen hinein sagte ich: »Wir geben ihnen eine zweite Chance.«
Mit der rechten Hand griff ich in die andere Tasche. Sobald ich den Einlegeboden des Pistolenkästchens hochgehoben und einen Blick darunter geworfen hatte, hatte ich gewusst, was es zu bedeuten hatte. Ich hatte ohne Unterlass versucht, eine Alternative zu Attolias skrupellosem Rat zu finden, und es war mir nicht gelungen. Gens Geschenk versicherte mir, dass dafür kein mangelndes Bemühen verantwortlich war; er hatte selbst keine andere Lösung gesehen.
Ich zog die
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