Die Leibwächterin (German Edition)
Hauptstadtregion zurückzukehren gedächte. Ich antwortete, das wisse ich noch nicht, ich sei ja momentan ungebunden.
«Es wäre ratsam, bald zurückzukommen. Anita Nuutinen wurde vorgestern Nacht in Moskau tot aufgefunden.»
Ich spielte ihm die Entsetzte vor und war mit meiner Leistung zufrieden. Zu dick durfte ich natürlich nicht auftragen, immerhin war ich eine professionelle Leibwächterin und kein ängstlicher Teenager. Ich versprach, mit meiner Reisegefährtin zu sprechen und mich dann wieder zu melden. Mitten in Laitios nächstem Satz schaltete ich das Handy ab.
Ich hatte Paskewitschs Namen genannt, weil die Polizei ohnehin bald darauf stoßen würde. Im Übrigen glaubte ich nicht, dass Anita sich in letzter Zeit ausschließlich vor Paskewitsch gefürchtet hatte, obwohl sie mir genau das weismachen wollte. Ich war ziemlich sicher, dass ihr auch ein Finne auf den Fersen war.
Anita hatte die Wohnungen, die sie in Moskau besaß, teils längerfristig an Russen vermietet, teils kurzzeitig an finnische Geschäftsreisende, die sich vorübergehend in Moskau aufhielten. Ich hatte gehört, wie sie sich am Telefon mit jemandem auf Finnisch über irgendeine Mietangelegenheit stritt. Der Mieter hatte offenbar verlangt, dass sein Name in keinem offiziellen Dokument genannt wurde, und Anita hatte sich geweigert, Steuern zu hinterziehen. Sie hatte zu ihrem Gesprächspartner gesagt, ein Mann in seiner Position könne nicht verlangen, steuerpflichtige Einkünfte zu verschleiern. Wenn das ans Licht käme, wäre er erledigt. Ich hatte Anita nicht gefragt, mit wem sie gesprochen hatte, und sie hätte es mir wohl auch nicht gesagt, doch im Verzeichnis der Bewohner würde sich die Identität des Mieters feststellen lassen. Allerdings konnte man natürlich eine Kette von Untermietern dazwischenschalten, zumal wenn man so sehr auf Geheimhaltung bedacht war wie Anitas Kunde. Erpresst hatte sie ihn wohl nicht.
Die Geschichte, ich sei mit meiner Freundin unterwegs, hatte ich Laitio mit Bedacht aufgetischt, denn ich baute darauf, dass sich die Polizei vom Grundsatz des umgekehrten Chauvinismus leiten ließ und mit Vertretern sexueller Minderheiten besonders sanft umging, um sich nur ja nicht den Vorwurf der Diskriminierung einzuhandeln. Tatsächlich hatte ich auch mit Frauen Erfahrungen gesammelt, vor allem in New York hatte ich alles Mögliche getrieben, aber nach einer festen Beziehung hatte ich mich nie gesehnt. Eine Liebesbeziehung war das Gefährlichste auf der Welt, das hatte ich schon als Kind begriffen. Onkel Jari hatte mir vorgelebt, dass man sich allein wohl fühlen konnte. Auch die Luchse lebten nur in der Brunstzeit paarweise, danach lief das Weibchen dem Männchen davon. Um die Jungen kümmerte sich das Muttertier ein Jahr lang, sofern es ihm nicht so erging wie Fridas Mutter.
Ich überlegte, ob Hakkarainen sich mittlerweile einen Internetanschluss zugelegt hatte, und beschloss, mir Gewissheit zu verschaffen. Als Landwirt musste er bestimmt diverse digitale Formulare für die EU ausfüllen. Im Internet würde ich mir russische Nachrichtenseiten ansehen können. Ich packte ein Wörterbuch ein und ruderte los. Hakkarainen hatte ein neues Glasfiberboot angeschafft, als Ersatz für Onkel Jaris altes Ruderboot im Savoer Stil, das im Mittsommerfeuer verbrannt worden war, wie er mir erzählt hatte. Ich war froh darüber, denn mit dem alten Boot verbanden sich schlimme Erinnerungen. Das Glasfiberboot war eher als Motorboot vorgesehen, aber nach kurzer Eingewöhnung gelang es mir, es mit den Rudern auf Kurs zu halten. Auf dem Wasserweg betrug die Entfernung zu Hakkarainens Haus nur gut einen Kilometer. Seit der Ausbildung in Queens hatte ich nicht mehr gerudert. Damals hatten die Kursteilnehmer die Angewohnheit, auf dem Hudson um die Freiheitsstatue zu rudern, was inzwischen aus Sicherheitsgründen nicht mehr erlaubt war. Auf dem See Rikkavesi dagegen überwachte niemand den Verkehr, überhaupt begegnete mir auf dem ganzen Weg nur eine zerzauste Möwe, die eine Weile ihre Kreise um das Boot zog, bis sie begriff, dass ich nicht angelte.
Bei Hakkarainens war alles still. Vielleicht war Maija Beeren pflücken gegangen, und Matti hielt einen Mittagsschlaf. Auf dem Hof stand ein Traktor mit Egge; die Drescharbeiten waren beendet, und nun hieß es, die Felder umzupflügen, bevor der Nachtfrost den Boden hart machte. Die vertraute Routine der Landwirtschaft kehrte in mein Gedächtnis zurück, Onkel Jari und ich hatten ja zigmal bei
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