Die Leibwächterin (German Edition)
Schulschwester getreten hatte. Seit dieser Episode hatte ich eine Abneigung gegen Ärzte, und die obligatorischen Untersuchungen bei der Armee und im Zusammenhang mit meinen Jobs waren die reine Qual für mich gewesen. Erst das Judotraining und die anderen Selbstverteidigungskurse hatten mir die Gewissheit verschafft, dass niemand mehr gegen meinen Willen in mich eindringen würde. Der Gedanke, mir eine Spirale einsetzen zu lassen, war mir anfangs auch zuwider gewesen, doch sie hielt immerhin einen noch weniger willkommenen Eindringling ab, ein Kind, das ich nicht wollte.
Im Ferienhaus fühlte ich mich herrlich einsam. Mit diesem Haus verbanden sich keine Erinnerungen wie mit Onkel Jaris Haus, hier trug ich keine Verantwortung für die Sicherheit anderer Menschen wie in meiner Wohnung in Helsinki oder in den Wohnungen meiner früheren Arbeitgeber. Ich trank das Bier aus, versah dann ein Glas mit einem Salzrand und holte die Tequilaflasche aus dem Schrank, die ich irgendwann im Sommer gekauft hatte. Ein kleiner Schwips würde mir guttun. Es war erst eine Woche vergangen, seit ich Anita gekündigt und Moskau verlassen hatte. Ich hätte ziemlich viel dafür gegeben, die Zeit zurückdrehen zu können, Anita vor dem Pelzgeschäft aufzuhalten und ihr einzureden, wir hätten keine Zeit, Pelzmäntel anzuprobieren. Für die Gewissheit, dass ich kein Menschenleben auf dem Gewissen hatte, hätte ich fast alles gegeben.
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7
Als ich aufwachte, war es schon fast elf Uhr. Der Regen hüllte das Haus in einen grauen Schleier, aus dem die Mooshöcker hell hervorleuchteten. Mein Kopf fühlte sich schwer an, und als ich die halbleere Tequilaflasche auf der Spüle sah, wusste ich auch, warum: Ich hatte ordentlich zugelangt. Kurz entschlossen zog ich den Schlafanzug aus und stellte mich in den Regen. Außer einem Schwarzspecht oder einem Elch würde mich niemand sehen.
Allerdings musste ich bald wieder ins Haus laufen, weil das Telefon klingelte. Ich erkannte die Nummer nicht, und als ich mich meldete, war zuerst nur ein Rauschen zu hören, dann irgend etwas auf Französisch und schließlich eine bekannte Stimme auf Schwedisch. Monika.
«Hallo, Hilja, schläfst du noch?»
Mosambik lag in derselben Zeitzone wie Finnland, und Monika arbeitete wahrscheinlich schon seit Stunden. Mir war kalt, aber ich wagte das Gespräch nicht zu unterbrechen, denn es war keineswegs sicher, dass Monika so bald wieder anrufen konnte.
«Ich habe gerade deine Mail bekommen. Meine Mails werden auf der Post in der nächsten Kleinstadt ausgedruckt und trudeln hier ein, wenn jemand Zeit hat, sie zu bringen. Ich schaffe es heute nicht, in die Stadt zu fahren und dir zu antworten, wir haben hier nämlich eine große Klo-Bau-Aktion.»
«Baust du Klos? Ich dachte, du kochst.»
«Das auch. Aber was nützt alle Hygiene in der Küche, wenn es keine ordentlichen Toiletten gibt! Wie geht es dir?»
In gewisser Weise war ich erleichtert gewesen, als Monika nach Mosambik übersiedelte, denn ich hatte sie zu nah an mich herangelassen. Ihre Versuche, meine bruchstückhaften Erinnerungen an meine frühe Kindheit zusammenzufügen, waren mir bisweilen unerträglich gewesen. Ich war nicht bereit, mich an alles zu erinnern, auch wenn Monika behauptete, das täte mir gut. Doch nun war sie weit weg, auf einem anderen Kontinent, deshalb wagte ich es, aufrichtig zu sein.
«Beschissen, ich habe einen Kater. Moralisch und auch ein bisschen physisch.» Monika hatte meinen Prepaid-Anschluss angerufen, den die Polizei vermutlich nicht abhören konnte. «Ich bin im Sommerhaus und versuche, Anitas Tresorkasten zu öffnen. Sie hat ihn mir überlassen für den Fall, dass …»
Plötzlich stiegen mir Tränen in die Augen. Verdammt nochmal, Heulen kam nicht in Frage.
«Solltest du das Ding nicht lieber der Polizei übergeben? Die wissen sicher, wie man es aufkriegt.»
«Die Polizei taugt zu gar nichts! Die behauptet im Einklang mit der Moskauer Miliz, der Täter wäre ein Alkoholiker, der kurz nach der Tat an Schnapsvergiftung gestorben ist.»
Es knatterte in der Leitung, sodass ich nicht verstand, was Monika sagte. Dann brach die Verbindung ab, und ich starrte auf mein Handy, bis ich merkte, dass ich am ganzen Körper Gänsehaut hatte. Ich schaffte es, Unterhose und Jeans anzuziehen, bevor das Handy erneut klingelte. Jetzt war Monika deutlicher zu hören, fast wie aus nächster Nähe.
«Wurde Anita tatsächlich von einem obdachlosen Alkoholiker
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