Die Leibwächterin (German Edition)
Fabrikschornstein auf, etwas weiter weg der Turm des Alten Bergwerks, der ein bisschen an eine Burg erinnerte. Die Lehrerin nahm mich an die Hand und führte mich durch die Flure, musste aber selbst einmal nach dem Weg fragen. Im ganzen Haus hing ein seltsamer Geruch, so ähnlich wie bei der alten Tante Kauppinen. Der Arzt war ein alter Mann, er hatte einen Schnurrbart und lange weiße Haare in den Ohren. Daran könnte ich ihn ziehen, wenn er mich quälte. Auch eine Frau war dabei, sie hieß Pirjo und kam ab und zu nach Hevonpersii, um nachzusehen, ob wir genug zu essen hatten. Zu mir war sie immer nett, aber Onkel Jari hatte Angst vor ihren Besuchen, er putzte vorher immer das Haus und kaufte Fleisch und teure Apfelsinen ein.
Man sagte mir, ich solle mich hinsetzen, dann gingen die Erwachsenen ins Nebenzimmer. Ich betrachtete die Instrumente des Arztes und den merkwürdigen Liegesitz, an dem Steigbügel befestigt waren, allerdings verkehrt herum. Dann kamen Pirjo und der Arzt ohne die Lehrerin zurück, und der Arzt bat mich, die Kleider auszuziehen.
Der Herr über die Krankheiten, dachte ich. Ärzte erweckten Menschen zum Leben, die schon fast tot waren, beinahe wie Jesus. Jesus war ein guter Mann, aber in seinem Namen wurde auch viel Böses getan, hatte Onkel Jari einmal gesagt. Wollte der Arzt uns in Jesu Namen den Luchs wegnehmen? Trotz aller Bedenken zog ich mich aus. Die Lehrerin hatte gesagt, dass Gott alles sieht, er konnte also auch unter die Kleider gucken. Wieso konnte der Arzt das nicht?
Ich redete mich wieder mit der angeblichen Katze heraus, als der Arzt mich nach den Narben fragte. Er entdeckte auch den Einstich an meiner Hand. Ich sagte, ich hätte mich in der Handarbeitsstunde aus Versehen gestochen. Dann ließ der Arzt mich auf den komischen Stuhl klettern und fummelte an den Steigbügeln herum. Ich war so klein, dass meine Füße kaum heranreichten. Vielleicht wollte der Arzt Indianer spielen, denn er band meine Knöchel an den Steigbügeln fest. Onkel Jari hatte mir ein Buch über Delia vorgelesen, die eigentlich eine Weiße war, aber bei den Indianern lebte, und in dem Buch ritten die Indianer unter dem Bauch ihrer Pferde, um die Weißhäute zu täuschen. Mein Stuhl war also ein Täuschungsstuhl. Der Arzt legte eine Decke über mich. Sie tat mir gut, denn mein Bauch war schon ganz kalt geworden.
«Und jetzt entspann dich, mach die Augen zu und stell dir vor, du bist in der Sauna oder liegst am Strand in der Sonne», sagte der Arzt freundlich. Doch ich traute mich nicht, die Augen zu schließen, weil ich Angst hatte, er würde mir dann das Wahrheitsserum spritzen. Ich sah, dass er einen Metallkolben nahm, den gleichen, wie ihn die Schulschwester gehabt hatte, mit einem kleinen Spiegel an der Spitze. Er rieb ihn zwischen den Händen. Ich begann zu toben und zu kreischen, versuchte die Beine loszureißen, doch die Fesseln gaben nicht nach. Das Indianerspiel gefiel mir überhaupt nicht mehr. Pirjo saß stumm in der Ecke und starrte Löcher in die Luft, sie spielte nicht mit.
«Liebe Hilja, ich muss dich untersuchen. Wenn du so tobst, muss ich auch deine Arme festbinden und dir eine Beruhigungsspritze geben. Dann tut es auch nicht weh.»
Die Beruhigungsspritze war bestimmt das Wahrheitsserum, und das wollte ich auf keinen Fall. Also versprach ich stillzuhalten. Das Metallding schob sich in meine Scheide, es war zwar nicht so kalt wie bei der Schulschwester, fühlte sich aber trotzdem seltsam an. In die Scheide durfte man doch nichts stecken!
«Gutes Mädchen.» Der Arzt redete mit mir wie Onkel Hakkarainen mit seiner Stute Soma, wenn er ihr das Zaumzeug anlegte. Dann wurde das Metallding herausgezogen, und seine Stelle nahm etwas Gummiartiges, Weiches ein, das bald wieder verschwand. Es tat ein bisschen weh, doch ich beklagte mich nicht. Ich hatte Frida nicht verraten, das war die Hauptsache.
Der Arzt löste die Bänder und sagte, ich solle mich auf den Bauch legen. Ich tat es, obwohl es mir unangenehm war, dass ich seine Hände nicht sah. Er berührte vorsichtig meinen Po, zog dann die Decke darüber.
«Lebst du gern bei deinem Onkel?»
«Ja!»
«Und ihr habt sogar ein Geheimnis miteinander. Hat das Geheimnis mit seinem Pullermann zu tun?»
«Nein! Wer hat denn solche Geheimnisse?»
Ich war enttäuscht, weil sogar der nette Arzt komplett verrückt zu sein schien.
«Und dein Onkel tut dir nicht weh?»
«Onkel Jari ist lieb!» Ich stand auf, die Decke um mich gewickelt, und funkelte den
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