Die Leibwächterin (German Edition)
Arzt wütend an. «Von mir aus kannst du mir ruhig das Wahrheitsserum spritzen, ich erzähl dir nichts! Unser Geheimnis geht keinen was an!» Inzwischen war ich stinksauer, weil er in mir herumstocherte und nach blöden Pullermannsachen fragte, über die sonst nur die doofsten Jungen in der Schule redeten.
«Ich habe ja gleich gesagt, dass Jari Ilveskero gut mit dem Mädchen zurechtkommt. Sonst hätte ich längst etwas gemerkt.» Pirjo machte zum ersten Mal den Mund auf.
Der Arzt seufzte. «Na, Hilja ist jedenfalls intakt. Zieh dich an, Kind, ich bitte die Sprechstundenhilfe, dir ein Eis aus der Cafeteria zu holen. Welche Sorte magst du denn am liebsten?»
«Kingis», antwortete ich begeistert. Eis bekam ich selten, denn wir hatten keinen Gefrierschrank. Der Arzt verschwand, Pirjo folgte ihm, und als ich mich angezogen hatte, probierte ich den komischen Steigbügelstuhl noch einmal aus. Ich spielte, ich wäre ein Indianermädchen, auf das die bösen Bleichgesichter Spritzen mit Wahrheitsserum abschossen.
Die Sprechstundenhilfe brachte mir ein Kingis-Eis und ein Glas Limonade. Ich nahm mein Lesebuch aus dem Ranzen und blätterte darin. Nach einer Weile klopfte es, dann kam die Lehrerin herein. Ihre Augen waren gerötet, ihr Lippenstift war verschmiert.
«Bei euch zu Hause geht keiner ans Telefon. Weißt du, wo dein Onkel ist?»
«Bei den Hakkarainens, er repariert das Dach vom Kuhstall.»
«Bei welchen Hakkarainens? So heißen hier viele.»
«Sie haben ein Pferd, das Soma heißt», antwortete ich hilfsbereit. «Ich habe es schon zweimal geritten, obwohl es den Sattel nicht mag. Es wirft mich nicht ab, weil wir beide liebe Mädchen sind.» Als ich genauer nachdachte, fiel mir ein, dass Onkel Hakkarainens Vorname Matti war. Die Lehrerin sagte, sie bringe mich jetzt nach Hause. Pirjo werde uns in ihrem Wagen folgen und den Arzt mitnehmen.
Ich machte mir schreckliche Sorgen wegen Frida. Würde Onkel Jari Zeit haben, sie zu verstecken, bevor wir ankamen? Weder die Lehrerin noch der Arzt durfte sie zu Gesicht bekommen. Auf der Fahrt bekam ich Bauchschmerzen, und als wir hielten, war mir zum Weinen. Ich lief rund ums Haus: keine Spur von Frida.
«Wartest du bitte hier draußen, Hilja, wir haben mit deinem Onkel Erwachsenendinge zu besprechen», sagte die Lehrerin. Onkel Jari öffnete die Tür und sah wieder wütend aus. Sicher glaubt er, ich hätte Frida verraten, dachte ich. Doch mich lächelte er an und wollte mich in die Arme nehmen, aber diesmal ermahnte Pirjo mich, draußen zu warten.
Ich ging zur Sauna, um nachzusehen, ob noch ein Rest lauwarmes Wasser übrig war, denn ich hätte mich gern untenherum gewaschen. Als ich am Schuppen vorbeikam, hörte ich das vertraute Maunzen und Kratzen. Onkel Jari hatte Frida eingesperrt! Ich wagte nicht, durch den Türspalt zu spähen, damit Frida nur ja nicht entwischte. In der Sauna hing die Wäsche, die Onkel Jari am Samstag gewaschen hatte. Ich wusch mich und zog eine saubere Unterhose unter die Strumpfhose und die Jeans. Braves Mädchen, lobte ich mich.
Dann rief auch schon die Lehrerin nach mir. Ihre Augen waren noch röter geworden, und Pirjo sah aus wie Hakkarainens Hund, wenn er ausgeschimpft wurde. Onkel Jari war immer noch wütend, aber nicht auf mich. Er nahm mich in die Arme und sagte:
«Verklagen sollte man euch, aber Hilja zuliebe lasse ich die Sache auf sich beruhen. Sonst wird sie endlos ausgefragt, dabei hat das arme Kind schon genug zu leiden gehabt. Aber entschuldigen müsst ihr euch bei ihr, auch die Schulschwester, wenn sie das nächste Mal kommt.»
Die Lehrerin kniete sich vor mich hin und tätschelte mir die Wange. «Hilja, Liebes … Ich wollte doch nur dein Bestes. Man liest so schreckliche Geschichten. Es tut mir leid wegen der Untersuchungen.» Sie weinte, es war furchtbar.
«Verzeih mir, Hilja», bat auch der Arzt. «Ich habe nur meine Pflicht getan. Wir sind alle auf deiner Seite.»
Ich verstand nicht ganz, warum ich um Verzeihung gebeten wurde, wahrscheinlich wegen der dummen Fragen und des blöden Metalldings. Ich verzieh allen, nahm mir allerdings vor, die Schulschwester zum Teufel zu wünschen, wenn sie sich bei mir entschuldigte. Aber Onkel Jari sagte, über die Geschichte werde nicht mehr gesprochen. Erwachsene seien manchmal furchtbar dumm, aber ich hätte nichts Böses getan.
Danach hatte ich gelegentlich Albträume, in denen meine Beine an einem gynäkologischen Stuhl festgebunden waren, und ich war stolz darauf, dass ich die
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