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Die Leibwächterin (German Edition)

Die Leibwächterin (German Edition)

Titel: Die Leibwächterin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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kostete mich Überwindung, nicht die Waffe zu ziehen. Ich spürte, wie mir der Schweiß ausbrach.
    «Hallo», grüßte Stahl und sah mich dann genauer an. «Was für ein Zufall! Wir sind uns doch gestern schon begegnet, als Sie mir den Weg nach Kopparnäs erklärt haben. Ich habe mich kurz entschlossen für ein paar Tage im Gasthaus einquartiert, hier gibt es herrliche Wandergebiete.»
    Sein Schwedisch hatte einen weichen, leicht abgeschliffenen Klang, den man oft hörte, wenn Russen eine Fremdsprache sprachen. Er sprach jedoch ungezwungen und, soweit ich es beurteilen konnte, fehlerfrei, mit finnlandschwedischem Akzent. Schwedisch schien tatsächlich seine Muttersprache zu sein, was mich bei einem Killer Paskewitschs überraschte.
    «Was für Pilze wachsen hier denn? Haben Sie Steinpilze gefunden?»
    Ich erinnerte mich nicht, wie der Reifpilz auf Schwedisch hieß, und bemühte mich auch nicht, im Gedächtnis zu kramen.
    «Steinpilze gibt es hier kaum, aber Trompetenpfifferlinge. Und diese», sagte ich und zeigte auf die Reifpilze in meinem Eimer.
    «Ziemlich geschickt, wie Sie das machen.» Lächelnd zeigte Stahl auf den Henkel, der schon so weit fertig war, dass ich ihn am Eimer befestigen konnte. Ich konzentrierte mich, wie ich es in Queens gelernt hatte. Meine Hände durften jetzt nicht zittern. Die feuchten Weidenzweige ließen sich mühelos zu festen Knoten binden.
    «Es ist ganz leicht, wenn man ein scharfes Messer hat», erwiderte ich und hielt mein Pilzmesser hoch. In den Eimer wollte ich es nicht legen, denn dann hätte Stahl es sich zu leicht schnappen können.
    «Wohnen Sie hier in der Gegend?», fragte er. In Ostfinnland, wo ich herkam, ging man sich aus dem Weg, wenn man im Wald einem Fremden begegnete, keinesfalls sammelte man im Revier eines anderen Pilze. Stahl jedoch pflückte vor meiner Nase einen Grasgrünen Täubling, besah ihn sich von allen Seiten und warf ihn dann weg.
    «Wurmstichig. Ich werde mir morgen bei der Wirtin einen Pilzkorb leihen, ein Messer habe ich selbst. Pilze sind lecker, vor allem mit einer ordentlichen Portion Schmant. In manchen Jahren hat man bei uns nur von getrockneten Steinpilzen und eingesalzenen Reizkern gelebt», erzählte er.
    Ich musste Ruhe bewahren und durfte den Mann um keinen Preis hinter mich treten lassen. Ich war sicher, dass auch er den Griff beherrschte, mit dem man einem Menschen das Genick brach. Hinter den Bäumen schimmerte ein See, dort konnte man eine Leiche loswerden. Wenn man eine Schusswaffe benutzte, würden allerdings Blutspritzer zurückbleiben. Ein Mann von Stahls Kaliber hatte selbstverständlich eine Waffe mit Schalldämpfer. Ich nicht, meine Pistole war offiziell zugelassen. Wenn ich als Erste schoss, würde ich nicht beweisen können, dass ich in Notwehr gehandelt hatte.
    Ich wäre gern aufgestanden, blieb aber sitzen und fing scheinbar ruhig an, meine Pilze zu putzen. Sollte Stahl seine Karten als Erster aufdecken. Verstohlen musterte ich ihn. Der Tarnanzug und die Stiefel sahen aus der Nähe weniger militärisch aus als in der Dunkelheit des frühen Morgens. Stahl nahm die Kappe ab und wischte sich die Stirn, auf der Schweißperlen standen. War er nervös, oder mangelte es ihm an Kondition? Auf seiner Glatze sprießten hier und da kleine Haarbüschel. Offenbar hatte er einen schwachen Haarwuchs und kam der Natur entgegen, indem er sich den Kopf kahl rasierte. Als er Anstalten machte, den Rucksack abzunehmen, steigerte sich meine Wachsamkeit. Er bückte sich und wandte mir den Rücken zu. Der richtige Moment, die Waffe zu ziehen und ihn zum Reden zu zwingen. Ich schob die Hand unter den Anorak und tastete nach dem Halfter. Da richtete sich Stahl auf. Er hielt einen Metallgegenstand in der Hand. Eine Thermosflasche.
    «Möchten Sie einen Kaffee? Es reicht sicher für zwei, allerdings habe ich nur einen Becher.»
    «Nein danke.» Ich zog die Hand unter dem Anorak hervor. Stahl trat einige Schritte zur Seite und setzte sich auf den nächsten moosbewachsenen Felsen. Er schraubte den Metallbecher von der Thermosflasche, goss Kaffee hinein und trank gierig.
    «Sind Sie von hier?», fragte er wieder. «Kennen Sie sich in dieser Gegend aus? Die Wirtin im Gasthaus hat von einem Vogelbeobachtungsturm gesprochen. Wo mag der wohl sein?»
    «Ich bin nicht von hier. Bekannte haben mir ihr Ferienhaus überlassen.» Ich lieferte Stahl dieselbe Erklärung wie den wenigen neugierigen Dorfbewohnern, die mich auf der Terrasse des «Degerby Deli»

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