Die Leibwächterin (German Edition)
wieder Geld verdienen würde. David hob sein Glas, ich stieß mit ihm an. Der halbsüße Sekt kitzelte in der Nase. Nachdem wir getrunken hatten, saßen wir eine Weile schweigend da.
«Du hast gerade von uns finnischen Frauen gesprochen. Hattest du nicht gesagt, dass du selbst auch finnischer Staatsbürger bist?», fragte ich und zwang mich, David in die Augen zu sehen. Sie waren hellgrau und lagen tief eingebettet zwischen den hohen Wangenknochen und den zerfurchten Lidern. Trug er womöglich Kontaktlinsen, die seine Augenfarbe veränderten?
«Du hast ein gutes Gedächtnis. Ja, ich bin finnischer Staatsbürger, aber in meinen Adern fließt Blut aus vielen Nationen. In unserer Familie hatte man immer eine Vorliebe für Mischehen. Mein Vater war Sowjetbürger, er ist in Nordestland geboren, in Kohtlajärvi. Nachdem Estland von der Sowjetunion annektiert worden war – oder befreit, wie man in der Sowjetzeit behauptete –, war mein Großvater dorthin gezogen, um beim Brennschieferabbau zu arbeiten. Meine Großmutter, die aus Narva stammte, arbeitete auch im Bergwerk. Ich bin also von Vaters Seite zu einem Viertel Russe und zu einem Viertel Este. Meine Mutter wiederum kam aus Tammisaari, gar nicht weit von hier. Meine Eltern haben sich in Estland kennengelernt, in Tartu, wo beide Anfang der siebziger Jahre studierten. Mutters Hauptfach war Russisch, ihre Urgroßmutter war während der Revolution aus Sankt Petersburg nach Finnland geflohen. Ich habe also zu dem einen Viertel noch einen kleinen zusätzlichen Schuss russisches Blut in mir. Meine Eltern mussten lange warten, bis mein Vater endlich die Ausreisegenehmigung erhielt. Sie zogen nach Tammisaari, wo ich zur Welt kam. Als Estland unabhängig wurde, übersiedelten wir wieder nach Tartu. Das war hart für mich, ich war damals gerade in der Pubertät und musste alle meine Freunde in Finnland zurücklassen. Da gab es schlimme Phasen, aber jetzt ist alles wieder in Ordnung. Aus welchem Teil Finnlands bist du denn?»
Die Wirtin kam, um unsere Bestellung aufzunehmen. Auch ich entschied mich für das Steak. David wählte den Rotwein mit einer Sachkenntnis aus, die mich Wein-Analphabetin beeindruckte. Als die Frau gegangen war, wiederholte er seine Frage.
«Ich? Vollblutfinnin aus Kaavi in Nordsavo. Von Mutters Seite bin ich Savoerin, mein Vater war aus Lappeenranta, dort bin ich geboren.»
«War? Ist er tot?»
«Für mich ja.» Ich trank noch einen Schluck Sekt, mein Glas hatte sich bereits beträchtlich geleert. Was machte es schon aus, wenn ich Stahl die Wahrheit über meine Vergangenheit erzählte? Vielleicht würde er dann begreifen, dass er es nicht mit einem unbedarften kleinen Mädchen zu tun hatte.
«Du wohnst nicht hier, also wohnst du noch dort in … Wie hieß der Ort gleich? Kaavi?»
«Nein, in Helsinki.» Das wusste Stahl natürlich.
«Allein?»
«Mit zwei Studentinnen. Ohne Haustiere.» Ich bemühte mich, kokett zu lachen. «Und du?»
«Ich bin beruflich zwischen Tartu, Moskau und Finnland unterwegs, komme allerdings leider nur selten nach Finnland. Zuletzt war ich mit meinem Auftraggeber vor ein paar Wochen in Kotka. Jetzt habe ich Urlaub, wollte mal wieder in die alte Heimat und bin dabei zufällig hier in Kopparnäs gelandet. Am Wochenende fahre ich nach Tammisaari. Vielleicht finde ich ja noch ein paar Bekannte von früher, auch wenn ich kaum Kontakt gehalten habe. Meine Großeltern sind tot, und meine Mutter war ein Einzelkind. Meine Schwestern sind zehn Jahre jünger als ich, der Altersunterschied ist so groß, dass wir uns nicht viel zu sagen haben. Sie wohnen in Tartu. Hast du Geschwister?»
Ich verneinte. Gleich darauf kam die Wirtin mit dem Wein. Sie sagte, wir sollten uns den edlen Tropfen schmecken lassen, und warf mir einen belustigten Blick zu. Sie schien zu wissen, dass David Stahl eine dicke Brieftasche und einen ganzen Stapel Kreditkarten besaß. Ein reiches Arschloch, das von Blutgeld lebte. Ob das Pfeffersteak wohl mit einer Pilzsoße serviert wurde? Dann könnte ich Stahl bitten, mir Wasser oder Salz zu holen. Da er mir den Gentleman vorspielte, würde er selbstverständlich gehorchen. In der Zwischenzeit hätte ich Gelegenheit, die Giftpilze unter seine Sauce zu mischen.
«Ich bin Einzelkind. Was hast du denn in Moskau gemacht? Ich war selbst letzte Woche erst dort, ich kenne die Stadt gut.»
«Ich bin Unternehmensberater in der Baubranche. Deshalb bin ich oft unterwegs. Wie gefällt dir Moskau?»
Während wir auf das
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