Die Leibwächterin (German Edition)
Essen warteten, plauderten wir über die Moskauer Bars und Museen. Es wäre vollkommen natürlich gewesen, dass Stahl die finnische Geschäftsfrau erwähnt hätte, die vor einer Woche im Zentrum von Moskau erschossen worden war, doch er ging mit keinem Wort darauf ein. Stattdessen erzählte er von seinen Erlebnissen mit Türstehern und aufdringlichen Frauen und versuchte, sich als Mann darzustellen, der sich nicht für käufliche Liebe interessierte. Ich dachte an Paskewitsch und seine Gespielinnen. Sicher fiel in dieser Richtung auch für seine Söldner ein Bonus ab.
Das Steak wurde mit Pfeffersoße, Knoblauchkartoffeln und Gemüse serviert, ohne Pilze. Pech für mich. Allerdings würde ein kleines Stück von dem Spitzgebuckelten Raukopf genügen, um Stahls Leber und Nieren zu zerstören. Ich beschloss jedoch abzuwarten, ob ich herausfinden würde, was er vorhatte. Hätte David Stahl nicht für Paskewitsch gearbeitet, wäre er mir beinahe sympathisch gewesen. Er war amüsant, ohne krampfhaft Witze zu reißen, und ließ mich ausreden, ohne mir ins Wort zu fallen. Er brachte es fertig, dass ich mich wie ein anderer Mensch fühlte, ich schlüpfte in die Rolle der attraktiven, flirtenden Frau wie in eine neue Haut.
«Warum bist du so oft in Moskau?»
«Beruflich, genau wie du. Ich bin eine Art Wächterin. Aber reden wir nicht darüber, auch ich habe Urlaub.» Ich beobachtete Stahl, als er sein Steak anschnitt. Er handhabte das Messer mit der Geschicklichkeit eines Chirurgen. War er es gewesen, der Anita erschossen und ihre Sachen einem sterbenden Säufer untergeschoben hatte?
«Eine Wächterin? Unglaublich!»
«Wieso?», fragte ich so aggressiv, dass Stahl zusammenzuckte.
«Versteh mich bitte nicht falsch. Meine finnische Mutter hat mir klargemacht, dass Frauen alles können, und ich habe es ja auch aus eigener Erfahrung gelernt. Es ist nur … du wirkst nicht wie ein Mensch, der andere überwachen will.»
«Soll das ein Kompliment sein?» Ich bemühte mich um ein Lächeln, aber innerlich kochte ich. Verfluchter Stahl, er würde noch dafür büßen müssen, dass er mich derart unterschätzte. Natürlich versuchte er, mein Selbstvertrauen zu erschüttern. Ich dachte an die Machtmittel in meiner Handtasche, die Waffe und die Giftpilze. War jetzt der richtige Moment, um Salz zu bitten?
Wir aßen eine Weile schweigend. Ich betrachtete das lebensgroße Gemälde eines Seeadlers, das über der Theke hing. Die Flügelspannweite betrug gut zwei Meter. Der Seeadler hatte die Krallen gekrümmt, er war im Begriff, sich auf seine Beute zu stürzen. Beinahe hörte ich seine Flügel rauschen. Bald würde er sich einen vierpfündigen Hecht schnappen, der keine Chance hatte, den Angriff des Raubvogels zu überleben.
Die anderen Gemälde, die das Restaurant schmückten, waren freundlicher: Waldlandschaften und Bilder von herbstlich bunten Laubbäumen, so unterschiedlich im Stil, dass man immer wieder überrascht war. Im Radio lief der Song, mit dem Lordi beim Eurovision Contest gewonnen hatte. Er brachte David zum Lachen. Es war nur natürlich, dass das Gespräch auf Musik kam. Stahl mochte Heavy Metal, aber auch Prog-Bands wie die armenische Gruppe System of a Down, von der ich noch nie gehört hatte. Er hielt mir einen langen Vortrag über die Band; als er fertig war, hatten wir unsere Teller fast leer gegessen. Wenn er über Musik redete, erschien ein besonderer Glanz in seinen Augen, das Thema lag ihm unverkennbar am Herzen.
«Möchtest du die Band hören? Ich habe ein paar ihrer Platten auf dem Mp3-Player in meinem Zimmer.»
«Warum sollte ich denselben Musikgeschmack haben wie du?» Unglaublich, was für einen schnurrenden Klang ich meiner Stimme zu geben wusste. Meine Augen hatten sich zu Luchsaugen verengt.
«Brauchst du ja gar nicht, aber ich würde meine Musik gern mit dir teilen.» Stahl tunkte den Rest der Sauce mit dem letzten Kartoffelstück auf und steckte die Gabel genüsslich in den Mund. «Die Musik von System of a Down ist noch besser als unser Steak, und das hat immerhin die Qualität von Pink Floyd. Die kennst du wohl?»
Die aufmerksame Wirtin räumte die Teller ab, bevor mir klarwurde, dass ich die Chance verpasst hatte, Stahls Essen nachzuwürzen. Sie fragte, ob wir ein Dessert wollten. Wir einigten uns auf Kaffee, Calvados und Apfelkuchen. Die Rotweinflasche war bereits zur Hälfte leer, und die Wirtin goss uns den Rest ein. Der Wein roch nach Schweiß, Leder und Mann.
«Mich beschäftigt immer
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