Die Leibwächterin (German Edition)
Teenageralter. Die dunklen Haare des älteren Jungen wehten im Wind, die Mutter trug einen Korb mit Reifpilzen. Der kleinere Junge sang beim Gehen und trommelte auf einem imaginären Schlagzeug. Der ältere ging im selben Takt wie sein Vater, während die Mutter, die erheblich kleiner war als die männlichen Familienmitglieder, doppelt so viele Schritte machen musste. Der Vater schlug einen Abstecher zum Gasthof vor. Der jüngere Sohn hob einen Stein auf und versuchte, ihn über das Wasser hüpfen zu lassen. An diese Familie würde ich mich bis an mein Lebensende erinnern, denn sie tangierte die Welt, die ich mit David teilte, und obwohl die vier uns nicht einmal bemerkten, sondern gleichgültig vorbeigingen, prägten sie sich meinem überhitzten Gemüt als Idylle ein, die ich nie hatte erleben dürfen. Wer weiß, vielleicht nahmen die Kinder nur aus Pflichtgefühl an dem Ausflug teil, in der Hoffnung, im Gasthof ein Eis zu bekommen, und vielleicht stritten sich die Eltern über alles andere außer dem Grundsatz, dass man mit seinen Kindern gemeinsame Waldspaziergänge machen musste. Vielleicht sehnte sich der ältere Junge nach seiner Freundin, und der jüngere war traurig, weil er keine hatte. Was wusste ich schon von den Masken der Menschen, natürlich belogen auch diese vier einander, so wie David und ich uns etwas vormachten. Aber dass ich mich zu David hingezogen fühlte, war die reine Wahrheit.
Ich stand auf und ging an den Uferrand, warf ebenfalls einen Stein und schaffte es, ihn fünfmal aufhüpfen zu lassen. Danach schlenderten wir am Strand entlang zum Campingplatz. In meinem Korb lagen drei Giftmilchlinge, ein Flaumiger Moor-Milchling und einige Trompetenpfifferlinge. An sich war es unsinnig, Pilze zu sammeln, da ich keine Gelegenheit hatte, sie zu verarbeiten. David erkundigte sich nach der Freundin, die sich meiner Geschichte zufolge in meinem Ferienhaus aufhielt; ich erfand eine Frau namens Reetta, die mit mir zusammen bei der Armee gewesen war und danach die Polizeischule besucht hatte. Von dem Mann wusste ich nur, dass er Matti hieß und seiner Frau erzählt hatte, er sei mit seinen Freunden auf Angeltour. Ich log im Namen von Menschen, die gar nicht existierten.
«Warst du je verheiratet?», fragte ich dann.
«Nein. Kinder habe ich auch nicht, einmal bin ich allerdings nahe daran vorbeigeschrammt.»
«Wieso?»
«Da war eine Frau, vor sieben Jahren. Gintare, eine Litauerin, aber sie wohnte in Tallinn. Sie hat sich an mich geklammert, und ich mochte sie auch. Aber dann wurde die Beziehung schwierig, ich merkte, dass Gintare zu viele Tabletten nahm, sie war süchtig. Ich habe mehrmals versucht, sie zu verlassen, aber irgendwie tat sie mir so leid, dass ich mich immer wieder erweichen ließ. Und sie war wunderschön, obwohl das allein ja nicht reicht.»
David hatte den Verdacht, dass Gintare absichtlich mit dem Fingernagel ein Loch in das Kondom gerissen hatte, das sie ihm überstreifte. Vielleicht war es aber auch nur Pech gewesen. Jedenfalls hatte sie eines Tages verkündet, sie sei schwanger. David hatte sie gebeten, keine Tabletten mehr zu nehmen, um dem Kind, das ja auch seins war, nicht zu schaden. Woher willst du das wissen?, hatte Gintare zurückgegeben. Es kann doch sein, dass ich auch mit anderen Männern geschlafen habe, wie kannst du sicher sein, dass das Kind von dir ist?
«Das war das einzige Mal, wo ich nahe daran war, eine Frau zu schlagen. Nicht wegen der Männergeschichten, sondern wegen des Kindes. Ich wollte Gintare nicht mehr, aber der Gedanke an ein Kind … war schön. Und es hätte zur Familientradition gepasst, ich habe dir ja schon erzählt, dass bei uns Mischehen die Regel sind. Natürlich hätte ich Gintare geheiratet.»
Drei Monate nachdem die Schwangerschaft festgestellt worden war, hatte David einen Anruf aus dem Krankenhaus bekommen. Gintare sagte ihm, sie habe das Kind abtreiben lassen. In der Klinik hatte sie angegeben, sie wisse nicht, wer der Vater sei.
«Ich habe ein paar Jahre lang um dieses Kind getrauert. Gintare fing an, außer Tabletten auch Opiate zu nehmen. Als ich sie zuletzt gesehen habe, saß sie im Nachtclub des Hotels Viru und wartete auf den nächsten Freier, der ihr Geld für Drogen geben würde. Sie war immer noch schön, aber an ihren Augen sah man, dass die Schönheit nicht mehr lange vorhalten würde.»
Nun hatte ich einen guten Grund, Davids Hand zu nehmen und sie fest zu drücken, die Geste sagte, was ich dachte: Es tut mir leid für
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