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Die Leibwächterin (German Edition)

Die Leibwächterin (German Edition)

Titel: Die Leibwächterin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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nicht die Mühe, sich vollständig anzukleiden. Ich aß Brie und Äpfel, als wäre ich völlig ausgehungert. David fragte, ob ich noch etwas Whisky nähme oder ob er bei der Wirtin eine Flasche Rotwein holen solle. Mir genügte Wasser, während David sich zwei Fingerbreit von dem bernsteinfarbenen Scotch eingoss. Durch das Fenster sah ich den bunten, im Wind schwankenden Wald und das klare Blau des Himmels, Bachstelzen versammelten sich auf einer Birke und berieten sich in ihrer Sprache über den Flug in warme Regionen, wo sie Futter finden würden.
    Der Pilzkorb stand auf dem Fußboden, die Ernte spielte keine Rolle mehr, ich war auf der Jagd nach einer ganz anderen Beute. David aß genüsslich ein Stück Käse, ich schubste ihn rücklings aufs Bett und ließ Weintrauben in seinen Mund fallen, trank aus seinem Glas, tauchte den Finger in den Whisky und ließ ihn von David ablecken. Auf meiner linken Brust waren Bissspuren zu sehen, ich war eine gezeichnete Frau.
    «Du hast also das Wochenende frei? Kannst du über Nacht bleiben?», fragte David.
    «Ja.» Helena hatte nicht angerufen, aber ich musste mir irgendwann einen Überblick über die Lage verschaffen. Ich wusste nicht, in welchem Zimmer sie untergebracht war; schlimmstenfalls schlief sie im Nebenzimmer. Allerdings ging mein Privatleben sie nichts an, solange ich meine Arbeit nicht vernachlässigte. Ich probierte das Ortungsgerät aus, das mir aber nur verriet, dass Helena sich im Umkreis des Gasthofs Kopparnäs aufhielt.
    «Wen beschützt du denn zurzeit?», fragte David und ließ einen Finger über meinen Oberarm wandern, wo er belustigt meinen Bizeps prüfte. «Du lieber Himmel, was für Muskeln! Mit dir legt man sich besser nicht an.»
    Ich hoffte, meine Judogriffe nicht gegen ihn anwenden zu müssen. Vermutlich beherrschte er auch irgendwelche Methoden der Selbstverteidigung.
    «Ich passe auf eine finnische Abgeordnete auf. Aber es kann sein, dass sie gar keinen Schutz mehr braucht. Ich habe ihrem Exmann, der sie belästigte, gezeigt, wo …» Wo die Henne pinkelt, wollte ich sagen, doch die entsprechende schwedische Wendung fiel mir nicht ein. Also begnügte ich mich mit dem farblosen Ausdruck «woher der Wind weht». Sicher verstand David wenigstens ein bisschen Finnisch, immerhin hatte er als Kind in Finnland gewohnt. Tammisaari lag zwar in einer schwedischsprachigen Gegend, aber er hatte doch in der Schule Finnisch lernen müssen, bevor seine Familie nach Estland gezogen war. Ich durfte mich keinesfalls darauf verlassen, dass er kein Wort verstand. Vielleicht tat er nur so, als sei er der Sprache nicht mächtig. Dadurch wirkte er ungefährlich und bekam Dinge zu hören, die nicht für seine Ohren bestimmt waren.
    Er fragte nicht weiter nach meinen beruflichen Aufgaben. Draußen waren Kinderstimmen zu hören, im Wald rief jemand: «Komm her, Karita! Hier wachsen noch Blumen!» Ich setzte mich an den Frisiertisch und betrachtete mein Spiegelbild. Wie konnten Augen gleichzeitig müde und strahlend aussehen? Auf dem Tisch lagen Davids Toilettenartikel, Rasierwasser und Deo aus der gleichen Serie, eine elektrische Zahnbürste und eine Zahnpastatube mit russischer Aufschrift.
    «Du bist also einer von denen, die immer Kondome dabeihaben», brummte ich auf Finnisch, als ich die Packung neben der Zahnpasta entdeckte.
    «Was sagst du? Ich verstehe dich nicht», antwortete David auf Schwedisch, doch ich glaubte den Anflug eines Lächelns in seinen Mundwinkeln zu sehen.
    «Entschuldige, habe ich gerade finnisch gesprochen? Ich habe nur gesagt, dass du offenbar nicht ohne Kondome verreist.»
    «Ist das so schlimm? Außerdem könnte es ja sein, dass ich sie speziell wegen dir gekauft habe. Möchtest du noch etwas essen?»
    «Nein danke. Nimmst du die Pilze mit, wenn du den Käse in den Kühlschrank bringst?»
    Sobald er das Zimmer verlassen hatte, beeilte ich mich, seinen Kleiderschrank zu inspizieren. Er enthielt zwei Jeans, eine Bügelfaltenhose, ein Jackett, eine hüftlange schwarze Lederjacke, T-Shirts, Socken und Unterwäsche. Keine Waffe, keine Taschentücher mit eingestickten Initialen. Als ich Schritte hörte, schlüpfte ich ins Bett und zog die Decke über mich. Vielleicht sollte ich ihn doch bitten, Rotwein zu holen. Ich interessierte mich vor allem für seine Brieftasche. Aus meiner eigenen hatte ich Reiskas Papiere entfernt, und auch meinen Taschenkalender hatte ich zu Hause gelassen.
    David zog die Hose aus und schlüpfte neben mir unter die Decke.

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