Die Leibwächterin (German Edition)
schwarzen Kutte und dem komischen Esslatz erzählt hatte. Seltsam, dass ein so großer Onkel beim Essen noch kleckerte, während ich schon beinahe ohne Kleckern essen konnte, und dabei war ich erst vier. Halt mir dein Kreuz vor, wenn mein Auge bricht; im Todesdunkel bleibe du mein Licht. In der Kirche war ein breiter Gang, dort hätte man schön laufen können, auf Mutters Raumkapsel lagen rosa Blumen, sicher durfte ich eine davon nehmen und Oma schenken, damit sie nicht so traurig war. Es ist ein Fest, wir feiern, weil deine Mutter in den Himmel kommt, hatte Onkel Jari gesagt, aber Vater durfte nicht mitfeiern, weil er sehr böse gewesen war und mich deshalb nie mehr besuchen durfte. Im Leben wie im Tod bleib du bei mir. Jetzt standen Oma und Onkel Jari auf, mein Onkel fasste mich an der Hand, der Gang war lang, und ich wollte nicht, dass meine Mama weggeht, ich wollte mit ihr in den Himmel …
Ich saß im Trauergottesdienst für Anita Nuutinen und weinte wie ein kleines Kind.
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Am Leichenschmaus nahm ich nicht teil. Stattdessen ging ich in das Lokal Vastarannan kiiski in der Runeberginkatu und bestellte ein dunkles Chimay. Und dann noch eins. Verdammt nochmal, ich musste die Erinnerung loswerden. Ein besseres Mittel als Bier wäre Training im Fitnesscenter gewesen, oder zwanzig Kilometer Joggen oder ein Judokampf gegen Wladimir Putin. Helena würde mir wahrscheinlich kündigen, weil ich mich betrank und meine Aufgaben vernachlässigte. Dann würde ich wieder das mit A beginnende, zehnbuchstabige Wort auf die Formulare der Arbeitsamtbürokraten kritzeln müssen. Ich sah mich schon in der Uniform einer Wach- und Schließgesellschaft durch die Einkaufszentren tigern, mit einem Partner, der ein halber Nazi war und den ich immer wieder daran hindern musste, Bier trinkende Jugendliche zusammenzuschlagen und pinkelnde Säufer aus dem Blickfeld anständiger Bürger in irgendeine Ecke zu zerren, wo die Polizei sie aufsammeln würde. Was für eine rosige Zukunft!
Ich überlegte, ob ich ein drittes Bier bestellen oder mir einen Leckerbissen anderer Art gönnen sollte. Es war mir leichtgefallen, David Stahls Telefonnummer auswendig zu lernen, und vorsichtshalber hatte ich sie auch auf dem Handy gespeichert. Ich ging zur Toilette und spazierte dann zum Strand von Hietaniemi. Als Vierjährige hatte ich natürlich nicht begriffen, was Sterben bedeutete, und da mein Vater zur gleichen Zeit weggebracht worden war wie die Leiche meiner Mutter, hatte ich geglaubt, auch er wäre in den Himmel gefahren, in derselben Raumkapsel wie Mutter. Meine Großmutter hatte die Beerdigung mit Hilfe starker Medikamente durchgestanden, brach danach jedoch zusammen und musste erneut ins Krankenhaus. So blieben nur Onkel Jari und ich übrig. Zuerst wohnten wir in einem Etagenhaus in Tuusniemi. Dort blieben wir nur einige Monate lang, und ich hatte kaum Erinnerungen an diese Zeit. Dann zogen wir in das kleine Haus mitten im Wald, und Hevonpersii wurde unser Zuhause. Onkel Jari kümmerte sich um die Namensänderung. Er wollte nicht, dass ich aufgrund meines seltenen Familiennamens mit dem Sensationsmord in Verbindung gebracht wurde, außerdem hielt er es für richtig, dass wir beide denselben Nachnamen hatten. Mein Vater hatte später geteiltes Sorgerecht für mich beantragt, was aber glücklicherweise nicht bewilligt wurde. Keijo Kurkimäki hatte nicht über mich zu bestimmen. An der Sicherheitsakademie in Queens hatte ich behauptet, meine Eltern seien bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als ich klein war; diese Geschichte hatte ich den meisten erzählt. Auch Anita. Auf dem Arbeitsmarkt stellte es nämlich nicht unbedingt eine Empfehlung dar, die Tochter eines Mörders zu sein.
Ich ging über den Friedhof an den Strand. Die roten und gelben Ahornblätter waren voller Leben, und das Meer glitzerte so stark, dass ich die Sonnenbrille aufsetzen musste. Als ich mich auf eine Bank am Ufer setzte, watschelten Enten herbei und bettelten um Futter. Ich zerbröckelte einen Müsli-Riegel, dessen Körner auch ein Eichhörnchen anlockten. Es ließ sich vom Zischeln der Enten nicht beeindrucken und wich ihren Schnäbeln geschickt aus. Erst als ich sicher war, dass meine Stimme nicht verweint klingen würde, wählte ich Davids Nummer.
Nach dem achten Klingeln meldete sich der Anrufbeantworter auf Schwedisch. «Det här är David Stahls svarare. Tyvärr är jag upptagen, men var vänlig och lämna ett meddelande.» Dann folgte
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