Die Leibwächterin (German Edition)
dieselbe Floskel auf Englisch und Russisch. Als ich die vertraute Stimme hörte, prickelte es auf meiner Haut.
Meine Nummer würde auf Davids Handy nicht zu sehen sein. Sollte ich das Risiko eingehen, ihm eine Nachricht zu hinterlassen? Das Bier machte mir Mut.
«Hallo, David, hier ist Hilja. In welchem Winkel der Erde steckst du gerade? Ich rufe dich später nochmal an. Es wäre schön, dich wiederzusehen.»
Mit voller Absicht sprach ich Finnisch, denn ich wollte immer noch nicht glauben, dass David wirklich kein Wort verstand. Meine Stimme und meinen Namen würde er auf jeden Fall erkennen.
Ich fühlte mich so elend, dass ich unbedingt Gesellschaft brauchte. Helena war mindestens bis sechs Uhr beschäftigt, danach sollte ich sie zum Fernsehstudio begleiten, wo sie an einer Diskussion über den Klimawandel teilnehmen würde. Ob es dort Metalldetektoren gab?
Ich hasste das Gefühl, das Alleinsein nicht zu ertragen. Ich wollte unverwundbar sein. In einer Kneipe würde ich leicht Anschluss finden, doch an Fremden lag mir nichts. Und meine Mitbewohnerinnen? Vielleicht konnte ich mit ihnen plaudern. Oder mit Frau Voutilainen? Ich entschied mich für einen weiteren Versuch mit dem Handy. In Mosambik war es so spät wie in Finnland, etwa vier Uhr. Ich rief Monika an, rechnete allerdings damit, sie nicht zu erreichen. Nach dem zehnten Klingeln gab ich auf, doch einige Minuten später rief Monika zurück.
«Hilja, wie geht’s?»
«Anita ist heute beerdigt worden.»
Die verflixten Tränen wollten schon wieder kommen. Warum war Monika viele tausend Kilometer entfernt, warum waren alle, die mir wichtig waren, unerreichbar: Mutter, Onkel Jari, Frida, Monika, David? Im Moment hätte ich sogar mit Mike Virtue vorliebgenommen.
«Wie war die Beerdigung?»
«Ganz normal. Aber, Monika … ich musste an eine andere Beerdigung denken … An die Beerdigung meiner Mutter. Onkel Jari hat immer gesagt, es sei besser, sich nicht daran zu erinnern. Aber mein Vater hat meine Mutter umgebracht, und ich habe es gesehen. Ich habe wirklich versucht, es zu vergessen, doch jetzt kommt alles wieder hoch.»
«Ich habe geahnt, dass du irgendetwas in der Art erlebt hast. Warum hast du mir nicht früher davon erzählt?»
«Weil ich es nicht wollte. Es ist ja vorbei. Wenn ich nur die Erinnerungen loswürde.»
«Ach, Hilja … Du solltest herkommen. Es würde dir guttun, eine Weile Abstand zu gewinnen.»
«Das geht nicht. Ich habe einen Vertrag mit Helena. Allerdings habe ich gerade während der Arbeitszeit zwei Bier getrunken, weil ich die Erinnerungen nicht ertragen konnte. Vielleicht schmeißt sie mich deswegen raus.»
Im Hintergrund bimmelten Glocken. Ging man in Mosambik etwa nachmittags in die Kirche? Oder waren das Kuhglocken? Ich konnte mir nicht vorstellen, in welchen Verhältnissen Monika lebte, aber sicher war Hevonpersii ein Luxusquartier im Vergleich zu ihrem derzeitigen Heimatdorf. Irgendwer rief etwas in hartem Französisch, und Monika lachte.
«Jordi hält mich für eine Faulenzerin, weil ich manchmal dreimal am Tag telefoniere. Ich habe ihm erzählt, dass die Finnen ihr Handy sogar in die Sauna mitnehmen und dass man sie in der Kirche zu Beginn des Gottesdienstes daran erinnern muss, es auszuschalten. Er will mir nicht glauben, dass in Finnland schon kleine Kinder ihr eigenes Handy haben.»
«Wer ist Jordi?» Ich merkte selbst, dass meine Stimme eifersüchtig klang.
«Ein junger Mann, um die zwanzig, dem ich das Kochen beibringe. Er hat einen guten Mundsinn …»
«Was?»
«Einen guten Geschmackssinn. Bald kann ich kein Finnisch und kein Schwedisch mehr, weil alle nur Französisch sprechen. Offenbar haben die Ermittlungen über den Mord an Anita zu nichts geführt?»
«Nein, außer …» Ich überlegte, ob ich Monika von David erzählen sollte, zog es dann aber doch vor zu schweigen. Es war nicht unbedingt schmeichelhaft, dass Europol mir auf den Fersen war. Ich ließ Monika von ihren Erlebnissen erzählen, sie redete von Yamswurzeln, Maniok und anderen Zutaten, die für mich nur Namen waren. Ihr Geplauder wirkte viel entspannender als Alkohol. Ich erinnerte mich an die Momente im Chez Monique, wenn das Restaurant gerade geschlossen, die letzten Teller abgeräumt und die schmutzigen Tischtücher in den Wäschesack gestopft worden waren. Dann hatte sich das Restaurant vorübergehend von einem öffentlichen, allen zugänglichen Raum in ein Zuhause verwandelt. Monika hatte nach der Arbeit gelegentlich ein Glas Wein
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