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Die Leiche am Fluß

Die Leiche am Fluß

Titel: Die Leiche am Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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und ihn mit Tee, zwei Keksen und einer Schlaftablette versorgt. Ihn zumindest kannte sie in- und auswendig — auch von seiner schlechten Seite, was nicht weiter schwierig war, denn andere Seiten hatte er nicht. Was sie zunehmend ängstigte, war das Unbekannte: das Fachchinesisch der Ärzte und Schwestern im Krankenhaus, die schroffen, aber nicht unfreundlichen Fragen der Polizeibeamten.
    Und sie ertappte sich dabei, daß sie sich vor dem Läuten des Telefons fürchtete, vor der Türklingel, vor jedem fremden Geräusch.
    Was war das? Bildete sie sich das nur ein, oder hatte da wirklich etwas...
    Da war es wieder: ein gedämpftes, beharrliches Klopfen.
    Voller Bangen schlich sie zur Haustür.
    Hinter der Milchglasscheibe zeichnete sich undeutlich eine menschliche Gestalt ab. Sie schloß auf, öffnete die Tür. Ihr Herz raste.
    «Du...?» flüsterte Brenda Brooks.

33

    Dieses Fest ist nicht totzukriegen; im September 1914 wurde der Versuch unternommen, es ausfallen zu lassen, aber selbst der Innenminister mußte einräumen, daß er dazu nicht imstande war.
    (Jan Morris, Oxford)

    Die St. Giles’ Fair findet jedes Jahr am Montag und Dienstag nach dem ersten Septembersonntag in Oxford statt. Dabei ist das ganze Gelände von St. Giles’ einbezogen, vom Martyrs’ Memorial bis zur St. Giles’ Church (und darüber hinaus), wo die breite, baumbestandene Allee sich gabelt und links zur Woodstock Road und rechts zur Banbury Road wird.
    Am späten Nachmittag des 6. September, einem Dienstag (zwei Tage, nachdem Lewis im Summertown Health Centre angerufen hatte), schlenderte Kevin Costyn unter den Platanen an den Karussells, Achterbahnen und Zuckerwattebuden entlang. Nichts davon reizte ihn, und die nackte Frau im Käfig, in dem sich die Ratten tummelten, war nicht mehr da und der Jahrmarkt damit (nach Kevins Meinung) um eine Attraktion ärmer. Für die schwankenden und schwindelerregend herum sausenden Wagen und Gondeln der Fahrgeschäfte mochte Kevin von seiner schmalen Barschaft nichts hergeben.
    An den staatlichen Schulen von Oxfordshire hatte der Unterricht heute wieder angefangen, und zum erstenmal seit zwölf Jahren war Kevin nicht dabei. Keine Schule — aber auch kein Job. Er hatte sich beim Arbeitsamt gemeldet und sogar die Broschüre über Angebote und Chancen für Schulabgänger mitgenommen, die er allerdings nicht zu lesen gedachte. Er war nicht an einem Job interessiert. Nur an Geld. Das heißt, nicht nur an Geld.
    Zufrieden grinsend blieb er vor dem Pub Bird and Baby stehen und sah zum Riesenrad hoch.
    Im vergangenen Monat hatten zwei Kumpanen und er mit einem gestohlenen Auto einen Rammbruch in einem Supermarkt in Summertown gemacht, aber gesundgestoßen hatten sie sich nicht dabei. Bei jeder Reparatur setzten die Glaser dickere Scheiben in die Schaufenster ein, und vor vielen regelmäßig angefahrenen und früher recht ergiebigen Zielobjekten standen jetzt schützende Betonpfeiler. Schlimmer aber war, daß es immer schwieriger wurde, die Ware abzusetzen. Zigaretten gingen immer noch am besten, die waren leicht, ließen sich gut stapeln und ohne Komplikationen an den Mann bringen. Schnaps war lange nicht mehr so gefragt, und für die erbeuteten Kisten mit Whisky, Gin und Wodka hatten sie lumpige 850 Pfund gekriegt, obgleich nach Costyns (zugegebenermaßen nicht sehr zuverlässiger) Kalkulation die Ware viermal soviel wert war. Und immer öfter schnappte sich die Polizei einen Hehler, so daß man andauernd nach neuen Absatzmöglichkeiten suchen mußte.
    Gab es denn keine leichteren Möglichkeiten, an Geld zu kommen?
    Manchmal schon...

    Als Kevin Costyn am vergangenen Nachmittag zur Tür gegangen war, hatte Mrs. Stevens vor ihm gestanden. Eine zart duftende Mrs. Stevens mit lockenden roten Lippen.
    Ob sie kurz hereinkommen dürfe? Ja, natürlich.
    Ob er sich anhören wolle, was sie ihm zu sagen hatte? Er hörte.
    Ob er bereit sei, zu tun, was sie von ihm verlangte? Ja, er war bereit.
    Ob er sich zutraue, zu tun, was sie von ihm verlangte? Doch, das traute er sich zu.
    Was nun die Bezahlung betraf... Viel Geld habe sie nicht. Was er sich denn vorgestellt habe...
    Tja...
    «Wann kommt deine Mutter zurück?» hatte sie gefragt.
    In den letzten Jahren hatte niemand es für notwendig — oder für ratsam — gehalten, Costyn zu fragen, ob er denn schon volljährig sei. Auch die junge Frau an der Theke des Bird and Baby, die ihm ein Pint Burton Ale zapfte, stellte diese Frage nicht.
    Zehn Minuten später verschwand

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