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Die Leiche am Fluß

Die Leiche am Fluß

Titel: Die Leiche am Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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er im Herrenklo, spuckte kurz auf den Fußboden, zielte mit der Linken und versuchte mit einem roten Filzstift in der Rechten das Wort «Fuck» an die unebene Wand zu schreiben.
    Das war ein Schlüsselwort in Costyns nicht allzu umfangreichen Vokabular, schon seit damals, als sich seine Mutter und der Mann, der möglicherweise sein Vater war, Nacht für Nacht mit diesem Wort angegiftet hatten, bis sein Vater offenbar doch mal zuviel gekriegt und sich «verpißt» hatte — auch ein Wort, das Kevins Mutter gern und oft benutzte.
    Für den einzigen Sohn aus dieser unglückseligen Verbindung hatte jenes Wort so viel Gewicht, daß er es, wenn er aus irgendeinem Grunde seinen Unwillen oder seine Verachtung zum Ausdruck bringen wollte, allen längeren Worten beizugeben pflegte. Für dieses Verfahren gibt es in den Werken Homers den Begriff «tmesis». Costyn allerdings kannte Homer nur als eine Taubenart. Sein Vater hatte mal so eine Taube gehabt. Sie war dazu abgerichtet, daß sie auch von weit weg wieder nach Hause fand, was man von ihrem Besitzer, nachdem er Frau und Kind (und Taube) verlassen hatte, nicht behaupten konnte.
    Vor dem Präserautomaten blieb Costyn stehen. Leider machte der Kasten einen ziemlich diebstahlsicheren Eindruck, und deshalb beschloß er, für den erhofften Genuß ausnahmsweise mal zu zahlen. Zunächst konnte er sich nicht zwischen «Extra feucht» und «Gefühlsecht» entscheiden, letzteres schließlich aber wählte. Und dachte wieder daran, wie er Mrs. Julia Stevens genüßlich die Bluse von den sonnengebräunten Schultern gestreift hatte.

    Als Costyn nachmittags um vier vor Marks & Spencer in der Queen’s Street auf seinen Bus wartete, erkannte er in der jungen Frau vor sich eine frühere Mitschülerin aus der Proctor Memorial School und legte ihr eine Hand auf die ungebräunte Schulter.
    «Kleine Tour gemacht, Schätzchen?»
    Sie drehte sich um. «Was willst du?»
    «Könntest mit mir auch ‘ne Tour machen, Schätzchen, ich weiß, wie’s geht...»
    «Hau bloß ab.»
    Solche Sprüche war Costyn aus weiblichem Munde nicht gewohnt, aber heute war er milde gestimmt. Er tastete nach den beiden Packungen «Gefühlsechtes Lusterlebnis» in seiner Tasche. Die Bezahlung...
    «Eine Hälfte jetzt, die andere später», hatte Mrs. Stevens versprochen. Und im Bus berauschte sich Costyn erneut an einem prickelnden Cocktail aus Erregung und Sinnlichkeit.
    Die andere später... Wenn er den Auftrag (oder vielleicht die Aufträge) erledigt hatte.
    War das, was er so bereitwillig zugesagt hatte, sehr riskant? Sie wisse noch nicht genau, wann sie sich melden würde, hatte sie gesagt. Für sie war es bestimmt riskanter als für ihn. Aber sie brauchte sich keine Sorgen zu machen, er würde dichthalten. Eisern.
    Und wenn einer dachte, er würde je singen, dann hatte der sich verfickt noch mal getäuscht.

34

    Der bunt-geschwätz’ge, reuevolle Tag
    In Meeres Tiefen sich verschlich.
    (Shakespeare, Heinrich der Vierte, Teil II)

(I)

    Am Mittwoch, dem 7. September 1994, saß Ms. Ellie Smith um 11.20 Uhr in einem Taxi, sah alle dreißig Sekunden nervös auf ihre Armbanduhr und ärgerte sich schwarz, weil sie Ashley Davies’ Angebot nicht angenommen hatte.
    Am Wochenende hatte sie ihm, ehe sie ging, noch reinen Wein eingeschenkt: Sie war in der zwölften Woche schwanger, wollte abtreiben lassen und hatte einen Beratungstermin in einer Klinik in South Birmingham. Gestern nachmittag hatte Davies sie angerufen, und sie hatte es abgelehnt, sich von ihm hinfahren zu lassen. Er müsse sowieso nach Oxford, hatte er gesagt, und über die Autobahn sei es, besonders mit seinem Wagen, doch nur ein Katzensprung bis Birmingham, und das Fahrgeld könne sie auch sparen.
    Aber sie hatte sich nicht umstimmen lassen.
    Sie wollte den Zug um 9.11 Uhr von Oxford nach Birmingham nehmen, der um 10.30 Uhr am Bahnhof New Street ankommen sollte. Somit blieb ihr eine ganze Stunde, um zu der nur fünf Meilen entfernten Klinik zu kommen.
    So war es vorgesehen.
    Doch dann war kurz vor Leamington Spa ein Signal ausgefallen, in Coventry hatte es Bombenalarm gegeben, und als der Zug in New Street hielt, hatte er glücklich achtundvierzig Minuten Verspätung, so daß sie ein Taxi hatte nehmen müssen. Die ganze Hetze war dann im Grunde für die Katz gewesen, denn erst um 11.55 Uhr wurde sie ins Sprechzimmer gerufen.
    Der Arzt, ein kleiner weißbekittelter Pakistani mit Spanielaugen, war gütig und teilnahmsvoll gewesen und hatte ihr zugeredet,

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