Die Leiche am Fluß
sehen.»
«Sie waren mit einer Freundin da, sagten Sie?»
«Ja, mit einer Gruppe aus ihrer Schule.»
Lewis war gerade dabei, sich Namen und Adresse der Freundin zu notieren, als wieder das Telefon läutete. Sobald Mrs. Brooks das Zimmer verlassen hatte, deutete Morse in die entgegengesetzte Richtung. Leise ging Lewis in die Küche und zog die Schublade neben der Spüle auf.
Inzwischen lauschte Morse gespannt auf das, was Mrs. Brooks draußen am Telefon sagte.
«Ja?»
«Alles in Ordnung?»
«Das verstehe ich nicht.»
«Was kann denn da passiert sein?»
«Nein, ich war nicht zu Hause.»
«Ja, natürlich.»
«Können Sie die Nummer wiederholen?»
«Ja, ist gut.»
Mit besorgter Miene betrat Brenda Brooks wieder das Wohnzimmer — nur wenige Sekunden nachdem Lewis aus der Küche gekommen war, Morse zufrieden zugenickt und seinen Platz wieder eingenommen hatte.
«Was Wichtiges?» fragte Morse.
«Das Krankenhaus. Ted war nicht da, hat die Schwester gesagt. Er war für zwanzig nach neun bestellt.»
«Was kann da wohl passiert sein?» fragte Morse.
«Das hat sie mich auch gefragt. Ich weiß es nicht.»
«Wahrscheinlich hat er sich in der Zeit vertan», tröstete Morse.
«Das hat sie auch gesagt», flüsterte Brenda Brooks.
«Wenn er kommt, ruft sie bestimmt gleich an.»
«Das hat sie...» Aber jetzt konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten.
Sie holte ein Taschentuch aus der Handtasche, entschuldigte sich ausgiebig — und dann stieß sie hervor: «Du liebe Güte... Wo ist mein Portemonnaie? Ich habe es wohl...» Sie stand auf, ging in die Diele, tastete die Taschen ihres Sommermantels ab, kam zurück und sah sich hilflos um. «Ich habe es wohl...»
«Sie waren doch noch einkaufen», sagte Lewis. «Vielleicht haben Sie es dort...»
Wenige Minuten später saß Mrs. Brooks in einem Streifenwagen. Sie war nervös und zappelig, aber heilfroh, den beiden Kriminalbeamten entkommen zu sein, die jetzt in ihrer Küche herumstanden.
«Was meinen Sie, Sir?»
«Daß Brooks abgetaucht ist, der schlaue Hund. Wahrscheinlich hat er geahnt, daß wir ihm auf den Fersen sind.»
«Und sie schien froh zu sein, als sie aus dem Haus war.»
«Natürlich macht sie sich Sorgen wegen ihrer Geldbörse. Geld, Schlüssel...»
«Aber nicht nur darum...»
«Daß Sie nach dem Friseur und nach Stratford gefragt haben, war ihr nicht geheuer.»
«Meinen Sie?»
«Es war ganz richtig so, Lewis. Sie hat uns tüchtig was vorgeschwindelt. Natürlich weiß sie ganz genau, wo er ist. Auch wenn er sie wie eine Sklavin behandelt — sie ist immer noch seine Frau.»
Lewis machte die Schublade auf und holte vier Messer in unterschiedlichen Größen heraus. Alle hatten einen schwarzen, an der Schneideseite leicht gebogenen Griff mit einer Einbuchtung am oberen Ende für den Zeigefinger und einer zweiten am unteren Ende für den kleinen Finger.
Vier Messer.
Vier aus einem Fünfer-Set?
Demnach fehlte Messer Nummer fünf. Weit war es nicht. Es lag als Beweisstück sorgfältig beschriftet in einem Schrank der Thames Valley Police.
Lewis nickte vor sich hin.
Morse nickte vor sich hin.
Für Morse war es keine große Überraschung, daß Edward Brooks, ehemaliger Hausdiener in Wolsey und derzeit Aufseher im Pitt Rivers Museum, sich zur Flucht entschlossen hatte — nachdem die Entdeckung des unseligen fünften Messers durchgesickert war.
Doch es war nichts durchgesickert. Dafür hatte Lewis gesorgt.
38
Das Museum hat viel von seinem viktorianischen Charakter bewahrt. An manchen Ausstellungsstücken in den wohlgefüllten Schaukästen findet man noch immer sorgfältig mit der Hand beschriftete Schildchen.
(The Pitt Rivers Museum, A Souvenir Guide)
Die Einzelheiten der für den Fall entscheidenden Entdeckung erfuhr das Präsidium in Kidlington vom zuständigen Revier erst kurz nach 13.00 Uhr, obschon der Vorfall bereits um 8.45 Uhr bemerkt worden war.
Die unverheiratete Janis Lawrence wohnte zusammen mit ihrer unverheirateten Mutter in der Cutteslowe-Siedlung in North Oxford. Dritter im Bunde war Jason, der vierjährige Sohn von Janis — nicht nach dem unerschrockenen Anführer der Argonauten benannt, sondern nach dem Leadgitarristen einer längst vergessenen Popgruppe. Jason konnte keinen Kieselstein am Weg liegen sehen, ohne ihn aufzuheben und auf alles zu schleudern, was ihm gerade unterkam — Hunde, Kinderwagen, Fußgänger, Autos und ähnliche Hindernisse. Was Wunder, daß Janis Lawrence es kaum erwarten konnte, bis sie ihn
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