Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Leiche am Fluß

Die Leiche am Fluß

Titel: Die Leiche am Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
Vom Netzwerk:
großzügig mit feinem Aluminiumpulver bestäubten Schaukasten Nummer 52 in Augenschein nahm.
    Zehn Minuten später nahm Lewis die Aussagen von Janis Lawrence und Herbert Godwin auf, und Morse saß Jane Cotterell gegenüber und hatte sehr rasch begriffen, daß er (zumindest von ihr) kaum mehr als nüchterne Fakten erfahren würde: Erstens, daß der Schaukasten mit ziemlicher Sicherheit am Vortag zwischen 16.15 und 16.30 Uhr aufgebrochen worden war. Zweitens, daß man, da der Inhalt erst vor einem halben Jahr, anläßlich einer Neuauskleidung der Kästen und Umordnung der Ausstellungsstücke, genau dokumentiert worden war, zweifelsfrei sagen konnte, was fehlte. Es handelte sich nur um ein Stück, nämlich das Messer aus Nordrhodesien.
    Morse wirkte leicht nervös.
    «Wäre es denkbar, daß jemand vom Personal es gestohlen hat?»
    «Kaum. Was sollen die Leute mit so einem Stück? Außerdem haben die meisten ohnehin Zugang zum Schlüsselschrank.»
    Morse nickte und stand auf. «Mit was für einem Material werden Ihre Schaukästen ausgelegt?»
    «Mit einem neuartigen Jutestoff, der laut Werbung seine Farbe ewig und drei Tage behält.»
    Morse lächelte und fühlte sich ihr plötzlich näher.
    « — diese Redensart hätte ich Ihnen nie zugetraut.»
    Sie erwiderte sein Lächeln fast schüchtern. «Nein?»
    Es wäre ein günstiger Moment gewesen, noch etwas hinzuzufügen, sich im Gespräch ein bißchen näherzukommen, aber beide ließen die Gelegenheit vorübergehen, und Morse wurde wieder dienstlich.
    «Daß jemand sich nach Schließung des Museums hier versteckt haben könnte, glauben Sie nicht?»
    «Nein. Der- oder diejenige hätte die ganze Nacht praktisch regungslos dastehen müssen, in den Räumen sind nämlich überall Bewegungsmelder angebracht. Außerdem wäre es viel zu unheimlich. Ich würde so was nicht fertigbringen.»
    «Ich auch nicht», räumte Morse ein. «Ich habe seit jeher Angst vor der Dunkelheit. Schon am hellichten Tag kann einem hier ein bißchen mulmig werden.»
    «Ja», sagte sie leise. «Hier betritt man einen Ort, an den die schönen Mythen kommen, wenn sie gestorben sind.»
    Morse war plötzlich sehr bewegt.
    Als er sich verabschiedet hatte, schlug Jane das Gewissen. Sie hätte Morse sagen müssen, daß das mit den Mythen nicht von ihr stammte. Sie ging ihm nach, aber er war schon weg.

40

    Donnerstag ist ein schlechter Tag. Mittwoch ist ein ganz guter Tag, Freitag sogar noch besser. Aber aus irgendeinem Grunde ist Donnerstag ein Tag, an dem mein Geist und meine Entschlußkraft einen Tiefststand erreichen. Schlimmer noch ist jeder Tag in der Woche, an dem mir nach einer Phase glücklicher Untätigkeit eine vorzeitige Rückkehr zu meinen Mühen ins Haus steht.
    (Diogenes Small, Autobiography)

    Eine Stunde später saß Morse in seinem Büro und brütete über der Skizze des Messers.
    «Wissen Sie, wo Nordrhodesien ist, Lewis?» fragte er den Sergeant, der mit zwei Plastikbechern Kaffee aus der Kantine kam. «Diese afrikanischen Länder ändern doch andauernd ihre Namen.»
    «Zimbabwe, Sir. Erzählen Sie mir bloß nicht, daß Sie das nicht gewußt haben.»
    Morse sah ihn mit einem waidwunden Blick an. «In der Schule hatte ich Geographie abgewählt.»
    «Aber Sie bekommen jeden Tag Ihre Zeitung.»
    «Ja, aber die Auslandsnachrichten lese ich nie, ich beschäftige mich nur mit dem Kreuzworträtsel. Und natürlich den Leserbriefen.»
    «Ich hab Sie aber schon oft die Todesanzeigen lesen sehen.»
    «Nur, weil mich interessiert, wie alt die Leute so werden.»
    Morse schälte die Zigarettenpackung aus dem Zellophan, nahm eine Zigarette heraus, zündete sie an und inhalierte.
    «Wenn Sie nicht endlich mit dem Rauchen aufhören, stehen Sie bald in den Todesanzeigen. Ich dachte, Sie hätten es aufgegeben.»
    «Hab ich auch, Lewis. Aber irgendwie denke ich, daß ich noch eine Geste machen, eine Art Opfer bringen müßte. Genau, das ist es: ein Opfer! Ich werde nur diese eine Zigarette rauchen. Eine einzige. Und die anderen?»
    Morse griff nach der Packung und warf sie erstaunlich zielsicher in den Papierkorb.
    «Zufrieden?»
    Lewis rief in der Ambulanz des John Radcliffe an. Nichts Neues. Dann rief er Brenda Brooks an. Nichts Neues.
    Edward Brooks war und blieb verschwunden.
    «Glauben Sie, daß jemand ihn ermordet hat, Sir?»
    Morse hatte sich wieder in die Einzelheiten des gestohlenen Messers vertieft und schien die Frage nicht gehört zu haben. «Wären Sie lieber Bischof oder

Weitere Kostenlose Bücher