Die Leiche am Fluß
hören, Sir, aber ich taste und taste... ich suche nach Ihrer Hand...»
«Jo, kannst du sagen, was ich sage?»
«Ich sag alles, was Sie sagen, Sir, denn ich weiß, daß es was Gutes sein muß.»
«VATERUNSER.»
«Vater unser! Ja, das ist sehr gut, Sir.»
(Charles Dickens, Bleakhaus)
Wir müssen nun kurz über einige Vorkommnisse berichten, die sich zwischen dem 21. und dem 24. September zutrugen und auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun hatten.
Am Mittwoch, dem 21. September, rief Julia Stevens im Krankenhaus an, um sich nach dem Befinden von Kevin Costyn zu erkundigen, der am Vortag auf die Intensivstation verlegt worden war. Die Ärzte fürchteten ein Blutgerinnsel im Gehirn und mußten möglicherweise operieren. Wie die drei anderen Anrufer (darunter auch seine Mutter) bekam sie den konventionell-zurückhaltenden Bescheid: «Kritisch, aber stabil.»
Was nicht sehr verheißungsvoll klang — aber immerhin positiver war als die Prognose, die man ihr gestellt hatte.
Abends im Bett hätte sie für sich und auch für Kevin gebetet, wäre ihr noch ein Rest von Glauben an einen allmächtigen Gott geblieben, was nicht der Fall war. Mit offenen Augen lag sie da, wußte, daß sie keine ruhige Nacht, kein frohes Erwachen mehr zu erwarten hatte, und überlegte, um wieviel leichter diese Dinge für Menschen sein mußten, die fest an ein Leben im Jenseits glaubten. Und ihre Entschlossenheit kam so weit ins Wanken, daß sie sich auf den Teppichboden kniete und leise die ersten Bitten des Vaterunsers sprach.
Der Star vom 22. September, ein Anzeigenblatt, das jeden Donnerstag kostenlos in ganz Oxford verteilt wird, brachte Fotos der drei jungen Männer, die in den Unfall auf der Eastern Ring Road verwickelt gewesen waren. Von den Begleitumständen dieses «Unfalls» war in dem kurzen dazugehörigen Artikel nicht die Rede, doch einem der Aufseher des Pitt Rivers Museum fiel das langgezogene Gesicht von Kevin Costyn auf. Insbesondere der Ohrring mit dem kleinen Kruzifix hatte seinem löchrigen Gedächtnis unversehens auf die Sprünge geholfen.
Am Donnerstag, dem 22. September, klopfte er kurz vor Schließung des Museums schüchtern an die Tür mit der Aufschrift Direktion.
Am gleichen Nachmittag stellte Morse seinem Sergeant eine etwas ungewöhnliche Frage.
«Wenn Sie ein Hochzeitsgeschenk kaufen müßten, wofür würden Sie sich entscheiden? Ein Hochzeitsgeschenk für die Braut, meine ich.»
«So läuft das nicht, Sir. Man kauft das Geschenk für beide. Meist haben sie eine Liste — ein Eßservice, Töpfe, ein Messer-Set...»
«Sehr witzig...»
«Oder wenn Sie nicht soviel ausgeben wollen, kann es auch ein Dosenöffner oder eine Saftpresse sein.»
«Eine große Stütze in Zeiten der Not sind Sie nicht gerade, Lewis.»
«Geht es um Ellie Smith?»
«Ja.» Morse zögerte. «Ich... eigentlich möchte ich ihr lieber was Persönliches kaufen.»
«Warum nicht? Es muß ja nicht gerade für die Hochzeit sein. Parfüm? Ein Tuch? Handschuhe? Schmuck? Eine Brosche vielleicht? Einen Anhänger?»
«Ein hübscher kleiner Anhänger — ja, das wäre vielleicht was.»
«Wenn ihr Mann nichts dagegen hat, daß sie ständig das Geschenk eines anderen um den Hals trägt...»
«Ist Eifersucht heutzutage überhaupt noch modern?»
«Ich glaube, so schnell stirbt Eifersucht nicht aus, Sir.»
«Da könnten Sie recht haben», sagte Morse nachdenklich.
Fünf Minuten später läutete das Telefon. Jane Cotterell vom Pitt Rivers.
Am Freitag, dem 23. September, schob Ellie Smith in der Vaults Bar des Randolph den Teller mit der nur halb gegessenen Lasagne weg und zündete sich eine Zigarette an.
«Aber es ist doch nett von ihm, daß er zugesagt hat, nicht?»
«Kannst du nicht endlich mal von was anderem reden, Ellie?»
«Du bist doch nicht etwa eifersüchtig?»
Ashley Davies lächelte etwas kläglich. «Doch, ich glaube ja.»
Sie beugte sich zu ihm herüber, legte ihm die Hand auf den Arm und küßte ihn sanft auf die linke Wange.
«Du dummer Kerl!»
«Ein bißchen eifersüchtig ist wahrscheinlich jeder mal.»
«Hm.»
«Du nicht?»
Ellie nickte. «Scheußliches Gefühl. Echt ätzend.»
Sie schwiegen beide einen Augenblick.
«Woran denkst du?» fragte er.
Ellie drückte die Zigarette aus und schob ihren Stuhl zurück. «Willst du das ehrlich wissen?»
«Sag schon...»
«Ich hab gerade überlegt, wie sie wohl so ist.»
«Wer?»
«Mrs. Morse.»
Die Sonne hatte sich hinter Wolken verzogen, und Ashley stand
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