Die Leiche am Fluß
Monat früher... vielleicht ein oder zwei Monate früher...?»
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Ich sagte, dies sei eine vortreffliche Bemerkung, die gut klinge, obschon es möglich sein müßte, sie so zu verfeinern, daß sie noch weniger besagt.
(Peter Champkin, The Sleeping Life of Aspern Williams)
Der Fall ging nicht sehr zügig voran.
Eine Bemerkung in diesem Sinne (wenn auch anders formuliert) erlaubte sich Lewis am nächsten Mittwoch morgen, dem 21. September, als er Morse in dessen Büro gegenübersaß.
«Bißchen zäh der Fall, Sir.»
«Bei Intellektuellen heißt so eine Redewendung eine Hyperbel», sagte Morse. «So nennt man in der Rhetorik eine Übertreibung. Ich vermute, Sie wollen mir sagen: Wir stecken fest...»
Lewis nickte.
Und Morse nickte.
Sie hatten beide recht...
Im Hause Brooks hatte die Polizei nach der Entdeckung des Fahrrades beträchtliche Aktivitäten entwickelt, bei denen Brenda Brooks sie — im Rahmen ihrer bescheidenen Möglichkeiten — bereitwillig unterstützt hatte. Die Aussage, ihr Mann sei am Sonntag, dem 28. August, vormittags die ganze Zeit zu Hause gewesen, hatte sie widerrufen und erklärt, sie wolle nun der Polizei die ganze Wahrheit sagen: Er sei ziemlich früh mit dem Fahrrad weggefahren und erst gegen Mittag zurückgekommen, im Taxi und mit blutbefleckter Kleidung. Ihr erster Gedanke sei natürlich gewesen, er habe einen Verkehrsunfall gehabt. Sie habe ihm in den Schlafanzug geholfen, ihn ins Bett gesteckt und, weil sie merkte, daß es ihm wirklich sehr schlecht ging, einen Krankenwagen kommen lassen. Die blutigen Sachen habe sie am nächsten Morgen in einem schwarzen Müllsack zur Abfallentsorgungsanlage Redbridge gebracht. Ja, ganz recht, zu Fuß. Die Iffley Road hoch und dann über die Donnington Bridge Road zur Abingdon Road. Ja, und das war eigentlich schon alles. Natürlich könne die Polizei sich im Haus umsehen, sie habe nichts zu verbergen, sie sollten nur mitnehmen, was sie wollten. Mit einem Mord sei schließlich nicht zu spaßen. Doch sie hatten weder Briefe noch Quittungen oder Adressen gefunden, nur ein paar Fotos und Andenken und ein, zwei Bücher. Keine Drogen. Nur die Habseligkeiten eines so mediokren wie unsympathischen Zeitgenossen, in dessen Leben nur eine herausragende Tat zu verzeichnen war — der Mord an einem Oxford-Professor.
Eine Entdeckung allerdings hatte — nicht zuletzt bei Brenda Brooks — doch für Überraschung gesorgt. Auf seinem Girokonto bei der Lloyds Bank (Filiale Carfax) hatte Edward Brooks nur 217 Pfund gehabt, dafür aber wies das Bausparbuch, das sich in einer Kassette an seinem Bett fand, ein Guthaben von beachtlichen 19 500 Pfund auf. Die Kassette war abgeschlossen, und Lewis hatte sie (mit Brendas Zustimmung) aufbrechen müssen, wobei er mehr bleibenden Schaden anrichtete als der (bislang noch nicht identifizierte) Dieb im Pitt Rivers Museum.
«Sie glauben, daß er tot ist, nicht?» fragte Lewis.
«Das wird mit jedem Tag wahrscheinlicher.»
«Aber wir brauchen eine Leiche.»
«Wie recht Sie haben! Die zumindest hatten wir im Fall McClure.»
«Und eine Tatwaffe auch.»
«Und eine Tatwaffe auch.»
«Im Fall Brooks haben wir immer noch keine Leiche.»
«Und immer noch keine Tatwaffe», ergänzte Morse entmutigt.
Zehn Minuten später platzte Strange herein, ohne anzuklopfen. Er hatte eine Woche Urlaub an der schottischen Westküste gemacht und war schon drei Tage zurück, heute aber zum erstenmal im Büro, weil er an einer Tagung für höhere Dienstgrade in Eastbourne hatte teilnehmen müssen.
Er wirkte nicht sehr lebensfroh.
«Wie läuft’s, Morse?»
«Wir machen Fortschritte, Sir», erwiderte Morse etwas beklommen.
Strange wirkte sauer. «Es läuft demnach nicht...»
«Wir hoffen auf weitere Entwicklungen...»
«Verschonen Sie mich mit diesem Scheiß! Ich will wissen, was wir zur Zeit in der Hand haben. Kurz und bündig bitte, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.»
Er wisse, sagte Morse — das heißt, er sei sich zu neunundneunzig Prozent sicher — , daß Brooks der Mörder von McClure sei. Sie hatten das Messer aus der Küche im Hause Brooks sichergestellt, allerdings ohne Blutspuren, und inzwischen war auch sein Fahrrad gefunden worden — mit den Blutspuren von McClure. Von Brooks selbst allerdings fehlte bedauerlicherweise zur Zeit jede Spur. Zuletzt war er am Mittwoch, dem 7. September, von seiner Frau, Brenda Brooks, und von Mrs. Stevens gesehen worden. Das war der Tag, an dem das Messer aus dem Pitt Rivers gestohlen
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