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Die Leiche am Fluß

Die Leiche am Fluß

Titel: Die Leiche am Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Hand.
    «Erinnern Sie sich noch an unsere kleine Wette?» Die Stimme des Chieflnspector schwankte leicht.
    «Die wir beide verloren haben, Sir...»
    «Die wir, um genau zu sein, beide nicht gewonnen haben. Ich wette um noch was mit Ihnen, Lewis: daß ich weiß, wessen Fingerabdrücke auf dem Messer sind, das der tote Brooks im Rücken stecken hatte.»
    «Das wissen ja nicht mal die Jungs von der Spurensicherung.»
    Morse schnaubte verächtlich. «Ich hätte nicht übel Lust, denen eine Dienstaufsichtsbeschwerde an den Hals zu hängen. So was von Unfähigkeit... Aber es ist ja verständlich», fuhr er milder fort.
    «Tut mir leid, Sir. Da komme ich nicht mehr mit.»
    «Soll ich Ihnen sagen, wessen Fingerabdrücke wir auf dem Messer gefunden haben?»
    Die blauen Augen blickten so wild, daß Lewis es mit der Angst zu tun bekam. Hatte Morse einen leichten Schlaganfall erlitten? Litt er plötzlich an Epilepsie?
    «Soll ich es Ihnen sagen?» wiederholte Morse. «Es gibt eine Regel, die Sie genau kennen, die jeder Kriminalbeamte kennt. Und an die wir uns in diesem Fall nicht gehalten haben. Nicht halten konnten. Daß man, wenn man Fingerabdrücke am Tatort sichert, allen Beteiligten — auch dem Toten — die Fingerabdrücke abnimmt.»
    Lewis spürte, wie das Blut in seinen Adern so kalt wurde wie der Teller, der vor ihm stand. «Sie meinen doch nicht...»
    «Doch, Lewis. Genau das meine ich. Es sind die Fingerabdrücke von Edward Brooks .»

64

    Gestalt (f): hauptsächl. i. d. Psychologie. Eine funktionell mehr als die Summe ihrer Teile darstellende integrierte begriffliche Struktur oder Einheit.
    (The New Shorter Oxford Dictionary)

    Es war, wie Morse genau wußte, schwierig genug, jemandem eine relativ einfache, körperliche Tätigkeit wie das Gehen zu beschreiben, geschweige denn kompliziertere Sachverhalte wie einen Aufschlag beim Tennis. Um wieviel schwieriger aber war es, Lewis’ direkte Frage nach der zerebralen Genese eines solchen Vorgangs zu beantworten.
    «Wie sind Sie nur darauf gekommen, Sir?» hatte ihn Lewis gefragt.
    Welche Gehirnakrobatik zum Lösen eines besonders haarigen Kreuzworträtsels erforderlich war, konnte man seinen Mitmenschen ja noch klarmachen. Wie aber erklärte man jene geistigen Verrenkungen, die sich praktisch jeder Erklärung entzogen, aber die Lösungsworte für das ganze kriminologische Kreuzgitter lieferten und damit zu einem dramatischen Moment der Erleuchtung führten? Wie erklärte man auch nur ansatzweise einen so jähen, fast irrationalen psychologischen Vorgang?
    Natürlich nur mit Mühe. Morse tat sein Bestes, um zu erläutern, wie er zu seiner erstaunlichen Lösung gekommen war, einer Lösung, die er der Tatsache verdankte, daß eine Reihe scheinbar unzusammenhängender Erinnerungen und Rückblenden unvermittelt in seinem Kopf zu einem Ganzen verschmolzen waren.
    Da war zunächst Lewis’ Bericht über das Gespräch mit Mrs. Rodway, das ihm in aller Deutlichkeit und in allen Einzelheiten das Zimmer in Erinnerung gerufen hatte, in dem sie mit ihr gesprochen hatten, insbesondere die helle Stelle, an der offenbar ein Bild gehangen hatte.
    Wie eine Fortsetzung dieser Erinnerung wirkte die gegenüber dem übrigen Teppichboden dunklere Stelle im Wohnzimmer und auch das, was Mrs. Lewis über den farblich unveränderten Stoff in ihren Schrankfächern gesagt hatte.
    Dann war da der Besuch im Pitt Rivers Museum, bei dem die Kuratorin stolz auf die vorzügliche Qualität der Jute für die Schaukästen und die für «ewig und drei Tage» gegebene Farbechtheitsgarantie hingewiesen hatte.
    Und eine Kindheitserinnerung. Die Erinnerung an einen Besteckkasten, ein Familienerbstück, auf dessen blauem Samt sich im Lauf der Jahre Messer, Gabel und Löffel immer deutlicher abzeichneten. Die Zeit hinterläßt eben ihre Spuren auch an unerwarteten Stellen...
    Aber war es nicht denkbar, daß die Artefakte in ihren Schaukästen in den düsteren, sonnenlosen Räumen des Pitt Rivers — gleich den Gerätschaften in Mrs. Lewis’ Küchenschränken — nur sehr schwache Spuren hinterließen? Oder vielleicht gar keine?
    Dazu kam die Diskrepanz zwischen dem Bericht der Pathologin über das Messer, mit dem McClure ermordet worden war, und die Aussage der Raysons über das Messer, das sie in ihrem Vorgarten gefunden hatten: «Klinge offenbar nicht sehr scharf» im ersteren, «Klinge, die zunächst nicht nachgeschärft zu werden brauchte» im letzteren Fall. Eine auf den ersten Blick geringfügige, aber

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