Die Leichenstadt
viele… es sind zu viele Spinnen. Du mußt weg, sonst holen sie dich auch noch. Wir sind dem Tod geweiht, uns kann niemand mehr helfen.«
»Nein!« knirschte ich, »so leicht gebe ich nicht auf.«
»Er hat recht, John Sinclair!« Das war Doreen Delano, die mich da angesprochen hatte, und ich drehte den Kopf. Durch die schrecklichen Entdeckungen und Ereignisse hatte ich an sie nicht mehr gedacht, doch sie hatte mich nicht aus den Augen gelassen, streckte sogar ihren rechten Arm aus und gab mir etwas zurück. Es war die Beretta.
Ich sprang hoch und merkte gleichzeitig, daß müder Sand bis über die Knöchel reichte, allerdings achtete ich nicht darauf, sondern bedankte mich bei Doreen für die Hilfe.
»Wir müssen weg, John!«
»Was?« Ich schaute sie erstaunt an. »Nein, meine Liebe, ich will nicht weg. Nicht bevor ich hier alles…«
Sie schüttelte den Kopf! »Es hat keinen Sinn. Die Leichenstadt hält die Menschen umfangen. Sie wird sie nie mehr loslassen, glaube mir.«
»Aber ich kann die Leute doch nicht verrecken lassen!« brüllte ich. »Sie brauchen meine Hilfe!«
»Du kannst es. Du mußt es sogar, wenn dir dein Leben lieb ist, John Sinclair.«
»Was soll das denn schon wieder?«
»Schau nach unten!«
Ich senkte den Blick, und meine Kehle wurde trocken. Verdammt, ich sah meine Schuhe nicht mehr. Der Sand hier am Ufer war dabei, mich wie auch die Männer des U-Boots in die Tiefe zu zerren.
»Reicht das?« fragte Doreen.
Ich will es noch immer nicht wahrhaben, riß meinen rechten Fuß hervor und sank mit dem linken dafür tiefer ein.
Die Falle war teuflisch!
Der Boden unter mir erinnerte mich an einen Sumpf. Er reagierte ähnlich. Wenn man einmal in ihm eingesackt war, gab er so leicht keinen Menschen frei.
Aus eigener Kraft konnte ich es kaum schaffen, weil ich nach jedem Schritt ein Stück tiefer sackte.
Ich hörte hinter mir die Stimme des verzweifelten Kapitäns. »Es erwischt dich auch, Sinclair. Dann wirst du bei lebendigem Leibe von diesen Spinnen gefressen…«
Aus sämtlichen Poren brach mir der Schweiß. Es gibt kaum Dinge, vor denen ich eine so große Angst hatte wie vor einem Sumpf oder Moor. Dieser dämonische Treibsand hier war so tückisch, daß ich Angst bekam.
Und vor mir stand Doreen Delano. Sie schaute mich an. Dunkel war ihr krauses Haar. Als sie noch auf der Erde weilte, lebte sie in den Staaten. In Chicago betrieb sie einen kleinen Modeladen, und sie hatte auch dafür gesorgt, daß ihre Figur immer schlank und elastisch blieb. Doreen sackte nicht ein.
Diese Tatsache machte mich stutzig. Weshalb die anderen und ich, aber nicht sie?
Da streckte sie den Arm aus. »Ich helfe dir, John Sinclair. Du mußt hier raus!«
Wie eine Klammer waren die fünf Finger, die mein rechtes Handgelenk umfaßten. Eine so große Kraft hätte ich der Frau nicht zugetraut. Die brauchte sie allerdings auch, um mich aus dem teuflischen Treibsand zu ziehen.
Er war wie Gummi, wollte mich nicht loslassen, und ich hatte das Gefühl, als würde er an meinen Beinen festkleben.
Indem ich meinem Körper den nötigen Schwung gab, half ich Doreen somit, mich aus dem verdammten Treibsand zu ziehen. Gemeinsam schafften wir es.
Als der Sand mich losließ, taumelte ich nach vorn, fiel gegen sie, und Doreen fing mich ab, wobei sie mich sofort nach hinten zog und die Richtung einschlug, die uns zu ihrem Nachen führte. Wir fielen förmlich in das primitive Holzboot. Mit den Knien schlug ich gegen die Innenwand und blieb erst einmal so hocken, um Atem zu holen. Auch Doreen Delano sagte nichts. Um uns herum rauschte der Blutfluß, und mir wurde allmählich klar, in welch einer Lage ich mich befand. Sie war ziemlich aussichtslos. Meine einzige Chance bestand in Doreen Delano und dem Blutfluß.
Allmählich ging es mir besser. Ich hockte mich auf eine kleine Ruderbank und schaute Doreen an. »Danke«, sagte ich leise. »Danke für die Rettung.«
Sie lächelte schmal. »Ich weiß nicht, ob du dich bedanken sollst, denn uns wird noch einiges bevorstehen. Ich kenne mich hier aus, aber du bestimmt nicht.«
»Was denn?«
»Das wirst du sehen.«
»Und dieser Fluß? Was ist mit ihm? Besteht er tatsächlich aus Blut?«
»Ja, du hast es erraten!«
Mir versagte die Stimme. Welch ein Unheil mußte in dieser Leichenstadt herrschen, daß es einen Strom gab, der statt Wasser Blut führte. »Wer hat alles sein Leben dafür geben müssen?« fragte ich leise.
»Menschen. Frauen, Männer, Kinder. Sie alle hatten damals
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