Die Leichenstadt
der vier keine Überraschung mehr brachte. Vor meiner Brust hing das Kreuz. Seit es mit mir zusammen in diese Dimension gelangt war, entwickelte es ein eigenes Verhalten. Mir schien es, als würde es sich gegen das Licht wehren und es auch absorbieren, wobei es gleichzeitig vernichtete, denn nicht umsonst glühte es hin und wieder an den Enden auf, wenn dort die Kräfte zusammentrafen und die guten die bösen zerstörten.
»Das werden deine Gegner sein«, versprach mir Doreen Delano, und sie lächelte dabei. »Lange genug haben sie gewartet und ihre Rache aufgehoben. Sie sind bereit, dich zu vernichten, John Sinclair.«
»Und du?« fragte ich. »Stehst du auch auf ihrer Seite?«
»Ich gehöre in die Leichenstadt.«
»Ich kannte mal eine Doreen Delano, die ganz anders gedacht hat.«
»Das war früher.«
Ich lachte bitter und nickte. »Stimmt, es liegt schon sehr lange zurück. Ich frage mich nur, aus welchem Grunde du mir das Leben gerettet hast. Du hättest mich im Sand sterben lassen können, dann wäre ich jetzt ein Skelett geworden.«
»Da war deine Zeit noch nicht reif«, erklärte mir Doreen kalt. Über ihr glattes Gesicht zuckte ein Lächeln. »Denke mal darüber nach, daß du kein Unbekannter im Reich der Finsternis bist. Du hast viele Gegner erledigt, bist oft Sieger geblieben, man zollt dir zähneknirschend einen gewissen Respekt. Der Plan, dich in die Leichenstadt zu locken, war gut ausgetüftelt. Du, John Sinclair, bist darauf reingefallen. Man hat dir nicht viel von der Leichenstadt gezeigt. Längst nicht alle Geheimnisse hast du zu sehen bekommen, aber das war auch nicht wichtig. Die Großen Alten zählen mehr, und ich will einen Zipfel des Geheimnisses lüften, das über ihnen liegt.«
Als ihre Stimme verklungen war, wurde es still. Die vier Dämonen hoch in der grünlich schimmernden Felswand kamen mir wie Denkmäler vor. Sie hielten sich im Schatten auf, aber sie schauten nach unten und beobachteten jede unserer Bewegungen.
Leichtfüßig wandte sich Doreen um. Wie hatte sie sich verändert!
Äußerlich war sie die gleiche geblieben, aber innerlich hatte sie sich völlig von ihrem Erdendasein abgekehrt. Sie griff unter ihr Gewand und holte etwas hervor, das meinen Atem stocken ließ, als ich es sah. Es war ein blauer Kristall.
Der Schlüssel zur Leichenstadt!
Kaum hielt sie ihn in der Hand, als er sein türkisfarbenes Licht verbreitete, das zu einer Glocke auseinanderfächerte und sich über die Gestalt der seltsamen Frau legte.
»Kennst du ihn noch?« fragte sie.
»Und ob«, erwiderte ich mit rauher Stimme. »Es sind Menschen deswegen gestorben.«
»Es werden nicht die letzten sein, glaub mir.« Sie drehte sich um und schaute mir nicht nach. Doreen ging einfach davon aus, so daß ich ihr folgte.
Sie hatte sich nicht getäuscht, denn ihr letzter Vortrag, sosehr er sich auch mit meiner Vernichtung beschäftigte, hatte mich dennoch neugierig gemacht.
Doreen Delano steuerte das Grab an der äußersten rechten Seite an. Als sie stehenblieb, trat ich zu ihr und schaute auf das Gestein neben dem Grab.
Es gab dort eine in den Fels gehauene Treppe, die nach oben führte. Ihr Ende lag in einer Höhe mit der schweren Grabplatte. Doreen stieg die Stufen hoch. Ich folgte ihr abermals. Das Ende hatten wir schnell erreicht, und wir befanden uns danach auf einem schmalen Pfad, der parallel zur Wand lief.
Er führte an den einzelnen Grabstätten vorbei. Wo er endete, das konnte ich nicht erkennen.
Doreen bückte sich. »Und jetzt gib genau acht, John Sinclair. Ich bin gespannt, wie du reagieren wirst.« Während dieser Worte hatte sie bereits den Arm ausgestreckt und berührte mit dem bläulich schimmernden Kristall die schwere Grabplatte. Es gab einen Ruck oder Schlag, der sich innerhalb des Ärms fortpflanzte und die Frau zum Zittern brachte. Dabei lief ein blauer Schein über den Arm, erreichte die schwere Grabplatte und legte sich zitternd darüber. Ein Kraftfeld hatte sich gebildet. Es wurde so stark, daß es die schwere Platte bewegen konnte.
Sie schwebte plötzlich.
Es war ein unheimlicher und gleichzeitig faszinierender Vorgang, der auch mich bannte.
Meine Blicke folgten der immer höher schwebenden Platte. Zwischen ihr und der eigentlichen Begräbnisstätte befand sich inzwischen ein großer Raum, daß ich bequem in den gewaltigen Steinsarg hineinschauen konnte.
»Geh, dann wirst du einen von ihnen sehen!«
Ich schaute Doreen an. Sie hielt den Schlüssel zur Leichenstadt fest und
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