Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die leichten Schritte des Wahnsinns

Die leichten Schritte des Wahnsinns

Titel: Die leichten Schritte des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
Vom Netzwerk:
Aufwasch
     …«
    »Das heißt, sie hat den Auftrag zum Mord gegeben?«
    »So kann man’s ausdrücken. Später hab ich gehört, wie Spaten und Kralle sich in die Wolle gekriegt haben, als wir aus dem
     Kasino raus sind. Kralle sagte, sie soll gefälligst zahlen wie für einen normalen Auftrag. Und Spaten hat gelacht und gesagt,
     tut’s dir um die Kugel leid? Ich hab mir gleich gedacht, bestimmt hat dieses Weib Spaten Geld bezahlt oder welches versprochen.
     Er hatte bloß keinen Bock zu teilen.«
    Bevor Mischa den Umschlag mit den Fotos hervorzog, trank er seinen kalt gewordenen Tee in einem Zug aus und zündete sich eine
     Zigarette an. Erst dann breitete er die Farbfotos mit den Frauengesichtern wie einen Fächer vor Pascha aus. Aus den sechs
     Aufnahmen wählte der zwei aus. Auf beiden war, aus verschiedenen Blickwinkeln, Regina Valentinowna Gradskaja zu sehen.
    ***
    Er behielt während der Live-Übertragung die Nerven. Er war charmant, geistreich, selbstbewußt. Keine Spur von Nervosität,
     sondern die Ruhe und Gesundheit in Person. Regina meinte sogar, durch den Fernsehschirm den feinen, kaum merklichen Duft wahrzunehmen,
     mit dem das Jackett ihres Mannes sich vollgesogen hatte, den Duft eines fremden Parfums.
    Sie wußte, daß er für heute alles abgesagt hatte, was er absagen konnte. Er hatte wieder den alten schwarzen Mercedes aus
     der Garage geholt und war um elf Uhr vormittags weggefahren, ohne ein Wort zu sagen. Den ganzen Tag kamen Anrufe für ihn,
     wichtige, dringende Anfragen, die geklärt werden mußten.
    Sie wußte nicht, was sie sagen sollte, zum erstenmal in all den Jahren, die sie zusammen lebten, konnte sie keine Auskunft
     geben, wo ihr Mann war. Einige Dinge konnte Regina selber regeln, und sie tat es auch. Aber vieles, sehr vieles konnte Wolkow
     nur persönlich entscheiden. Ohne ihn funktionierte der Konzern nicht. Und etwas Wichtigeres als den Konzern gab es nicht auf
     der Welt.
    Sie wählte nicht ein einziges Mal seine Handy-Nummer. Aber alle, die zu Hause anriefen, sagten ihr, das Handy sei abgeschaltet.
     Das Stubenmädchen, das ihr beim Putzen verstohlen neugierige Blicke zuwarf und mit halbem Ohr ihr Geflunker am Telefon mitbekam,
     schickte sie vorzeitig nach Hause.
    Die Sendung war längst zu Ende, die Zehn-Uhr-Nachrichten hatten bereits begonnen. Regina merkte plötzlich, daß sie die ganze
     Zeit an dem schwarzen Lederhandschuh zerrte, den sie im Mercedes gefunden hatte. Daher also kam dieser so vertraute und fremde
     Duft.
    Von nun an würde sie bis an ihr Lebensende einen Widerwillen gegen »Miss Dior« empfinden, gegen diesen warmen, unaufdringlichen
     Duft mit einer Nuance Sandelholz. Er hatte im Innern des Mercedes geschwebt. Wenn ihr Mann heute zurückkäme – falls er zurückkäme
     –, dann würde sein Jackett dieses weiche, zarte Aroma verströmen.
    »Was heißt ›falls er zurückkäme‹?« sagte sie laut und vernehmlich. »Er ist natürlich völlig verrückt, aber so nun auch wieder
     nicht!«
    Sie sollte recht behalten, wie immer. Um halb elf kam er nach Hause. Er gab ihr einen flüchtigen Kuß auf die Wange und ging
     ohne Abendessen sofort in sein Arbeitszimmer. Sein Jackett, das er achtlos auf einen Sessel im Wohnzimmer geworfen hatte,
     roch tatsächlich nach »Miss Dior«.
    Regina wartete zehn Minuten und öffnete dann vorsichtig die Tür zu seinem Zimmer. Er lag auf dem Sofa, in Hosen und mit aufgeknöpftem
     Hemd, und starrte zur Decke.
    »Müde?« fragte sie und setzte sich neben ihn auf das Sofa.
    »Ein bißchen«, erwiderte er, ohne sie anzusehen.
    »Weißt du, es haben viele Leute angerufen, ich habe ihnen das Blaue vom Himmel heruntergelogen.« Sie erzählte, was sie heute
     alles für ihn und ohne ihn entschieden hatte.
    Er antwortete einsilbig: »Ja, nein, richtig, da muß man noch mal überlegen …«, und starrte weiter an die Decke.
    »Ich habe deine Sendung gesehen. Es lief ja alles großartig. Du bist wirklich sehr gut in Form.«
    »Ja, Regina. Du kannst dich entspannen, brauchst dich nicht zu beunruhigen. Ich bin jetzt völlig in Ordnung. Weißt du, ich
     glaube, ich trinke etwas Tee.«
    Er sprang vom Sofa auf und ging in die Küche.
    »Ach, übrigens, was ich dir noch sagen wollte«, sie schaltete den Wasserkocher ein und stellte zwei Tassen auf den Tisch,
     »jemand hat im Mercedes einen Handschuh vergessen. Er liegt im Wohnzimmer, ein schwarzer Lederhandschuh, eine kleine Größe.
     Weißt du noch, wen du gestern gefahren hast?«
    »Ja«,

Weitere Kostenlose Bücher