Die leichten Schritte des Wahnsinns
Sitschkin. Pascha wunderte und freute sich zugleich.
Er hatte geglaubt, daß der Untersuchungsführer ihn verhören würde, ein alter Bock mit stechenden kleinen Augen, ein erbarmungsloser
Schinder und zu allem Übel auch noch Nichtraucher. Dieser hier war von ganz anderer Art.
»Kann ich ’n Tee kriegen«, nuschelte Pascha und sah sich gehetzt nach allen Seiten um, »und was zu rauchen!«
Mischa rief den Aufseher herbei, und man brachte heißen, süßen und starken Tee. Pascha kniff vor Vergnügen die Augen zusammen.
Der gutmütige Einsatzleiter legte noch zwei Butterbrote mit Wurst und mit Käse dazu. Dann reichte er ihm Zigaretten.
»Du sitzt ganz schön in der Patsche, Pascha«, seufzte er und zündete sich eine Zigarette an. »Bis über beide Ohren.«
»Ich habe niemanden umgebracht«, sagte Sewastjanow, polkte an einer abgestoßenen Ecke des Tisches herum und sah dem Einsatzleiter
nicht in die Augen. »Als es den Zoff mit den Leuten von Drossel gab, hab ich geschossen, wie die andern auch. Das stimmt.
Aber den Sänger hab ich nicht abgemurkst.«
»Pascha, du bist doch nicht auf den Kopf gefallen. Du begreifst doch, deine einzige Chance, dem Henker zu entgehen, besteht
darin, daß wir den richtigen Mörder finden. Verstehst du?«
»Aber wer wird sich denn noch abstrampeln, jetzt, wo man mich am Wickel hat? Die Sache ist doch längst gelaufen.«
»Wenn es so wäre, säße ich nicht hier und würde mit dir reden. Denk gut nach, Pascha, von diesem Gespräch hängt viel für dich
ab. Du hilfst mir und gleichzeitig dir selbst. Eine andere Wahl hast du nicht. Deine werten Kumpane haben dich schon ans Messer
geliefert und werden es wieder tun, darum laß uns ganz offen miteinander reden.«
»Aber ich hab doch schon alles gesagt. Dem Untersuchungsführer und Ihnen …«
»Wie lange bist du zur Schule gegangen, Pascha?« fragte Mischa und kniff listig ein Auge zu.
»Bis zur zehnten Klasse.«
»Kommen noch zwei Semester am Institut für Transportwesen hinzu, das du nicht beendet hast. Nicht weil du es nicht geschafft
hättest, sondern weil du das schnelle Geld wolltest. Aber ich will dir keine Moralpredigt halten. Ich sage das, weil zwei
Semester besser sind als nichts. Und dann warst du noch bei der Armee. Das heißt, vierzehn Jahre deines bewußten Lebens plus
die Zeit vor der Schule warst du, Pascha Sewastjanow, ein normaler Junge. Zu der Bande bist du erst vor kurzem gestoßen, vor
einem halbenJahr. Vom großen Geld oder vom süßen Leben hast du noch gar nichts kosten können, und nun winkt dir schon die Todesstrafe.
Aber es waren nicht deine Kumpane, die dich Grünschnabel als Strohmann vorgeschoben haben. Denen war das schnurz. Das waren
ganz andere Leute, sehr wichtige und mächtige. Und diese Leute will ich kriegen. Du kannst mir dabei helfen. Du mußt dich
daran erinnern, Pascha, wie man in deiner Bande auf die glorreiche Idee gekommen ist, Drossels Jubiläum zum Anlaß für eine
blutige Abrechnung zu nehmen. Wer genau hat euch auf den ›Recken‹ gebracht?«
»Na, das weiß ich noch«, sagte Sewastjanow erfreut. »Wir waren zu dritt im Kasino ›Europa‹, Spaten, Kralle und ich. Da hat
Spaten eine Bekannte getroffen. Mit der hatte er ein langes Gespräch, ich hab nicht weiter drauf geachtet. Aber so viel hab
ich mitgekriegt, daß die ihn auf die Idee gebracht hat. Spaten hat danach auch gesagt, morgen machen wir die Drosselbande
platt. Einen passenden Anlaß haben wir. Es ist längst Zeit, Drossel wird übermütig, macht sich auf unserem Territorium breit.«
»Wie sah die Bekannte aus?«
»So ’ne schicke Frau war das, um die vierzig, vielleicht auch jünger. Groß, helle Haare, glaub ich – aber keine Blondine.
So genau hab ich sie mir nicht angesehen. Ich weiß bloß noch, daß sie sehr gut aussah und todschick angezogen war, Superklamotten,
alles vom Feinsten.«
»Asarow wurde in dem Gespräch nicht erwähnt?« fragte Mischa leise.
Pascha überlegte und begann wieder mit dem Fingernagel an der Tischecke zu kratzen.
»Ich weiß es nicht mehr«, sagte er und schüttelte traurig den Kopf. »Lügen will ich nicht, ich erinnere mich nicht.«
»Gut«, sagte Mischa, »versuchen wir’s anders. Daß Asarow im ›Recken‹ auftreten würde, wußtet ihr das vorher?«
»Spaten wußte es bestimmt«, sagte Pascha. »Dieses Weibhat ihn wegen Asarow angehauen, er sollte … also, wir rechnen mit Drossel ab, und den Asarow, den könnten wir in einem
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