Die leichten Schritte des Wahnsinns
könne alle Probleme einfach und ohne viel Umstände durch einen Killer lösen lassen – Hauptsache,
man hat Geld. Bestimmt waren es die gleichen Kontakte, die sie und ihr Mann zur Unterwelt unterhielten. Was, wenn einer der
gemeinsamen Bekannten Wind von der Sache bekäme und sie Wenjamin Borissowitsch verriete?
Ärgerlich, daß sich keinerlei Zusammenhang mit dem Tod von Drossel finden ließ, sehr ärgerlich. Aber mit derExplosion des Kinderwagens mußte er sich sowieso befassen. Natürlich weckte das potentielle Opfer nun keine besonderen Sympathien
mehr bei ihm. Aber das Gesetz bestraft keine untreuen Frauen. Und nichts auf der Welt war Major Ijewlew vom FSB so heilig
wie das Gesetz.
Es ließ ihm keine Ruhe, daß gar nicht erst ein Kreis von Tatverdächtigen entstand, sondern alles gleich auf eine Person hinwies.
Das ging ihm zu schnell und zu glatt. Beweismaterial und Fakten gab es jämmerlich wenig, nichts als Mutmaßungen. Bevor man
sich darin verhedderte, mußte man noch mehr Tatsachenmaterial sammeln.
Ohne viel Hoffnung auf Erfolg beschloß der Major, die eifersüchtige Dame selbst im Auge zu behalten, zu beobachten, was sie
weiter tun würde. So saß er denn in seinem unauffälligen Lada neben dem schicken achtstöckigen Gebäude auf der Meschtschanskaja-Straße,
in dem sich die Stadtwohnung von Wolkow befand, und war kurz davor, einzunicken, als er sah, wie der dunkelblaue Volvo der
Gradskaja aus der Tiefgarage rollte. Es war Mitternacht, eine naßkalte, finstere Nacht. Ijewlew fuhr vorsichtig hinter ihr
her.
In der Dunkelheit des Gogol-Boulevards fiel es dem Major in seinen abgewetzten Jeans und dem alten Anorak nicht schwer, den
betrunkenen Stadtstreicher zu spielen.
Es war kein zärtliches Rendezvous, das die Gradskaja um halb eins in der Nacht auf dem Gogol-Boulevard hatte. Im Unterschied
zu ihrem leichtsinnigen Gatten befaßte sie sich mit geschäftlichen Dingen. Um zu erfahren, welcher Art diese Geschäfte waren,
verfolgte der Major den Mann, dessen Gesicht ihm im flackernden Schein des Feuerzeugs entfernt bekannt vorkam. Aber der Bursche
war mit allen Wassern gewaschen. Er stürzte sich in das Gassengewirr um den Arbat, schlängelte sich rasch durch Einfahrten
und über Höfe, tauchte ein letztes Mal an der Metrostation »Arbatskaja« auf, die soeben geschlossen wurde, und saustepfeilschnell die Rolltreppe hinunter. Ijewlew sah gerade noch, wie der letzte Zug ihn in die Namenlosigkeit davontrug – einen
jungen Mann von etwa dreißig Jahren, mittelgroß, in einer braunen Lederjacke, mit militärisch kurzgeschorenem Kopf. Während
Major Ijewlew zu seinem Lada zurückkehrte, zermarterte er sich das Hirn, wo er diesen Typen schon einmal gesehen hatte.
Kapitel 27
Vom Frühling war in Tjumen noch nichts zu merken. Es schneite in großen, weichen Flocken, der Schnee fiel auf die morgendliche
sibirische Stadt und schmolz nicht. In Moskau war es zwar schmutzig und kalt, aber doch schon frühlingshaft gewesen.
Lena war traurig zumute. Sie mochte den Winter nicht, und jetzt war sie wieder in ihn zurückgekehrt. Vor Kälte zitternd –
ihre Lederjacke war für minus fünf Grad viel zu dünn –, versuchte sie, auf dem Platz vor dem Tjumener Flughafen ein Taxi zu
bekommen. Michael blickte sich begeistert um.
»Na, hat sich in den letzten zehn Jahren irgendwas verändert?« fragte er. »Weißt du noch, wie du das letztemal hier warst?
Das war doch noch zu sowjetischen Zeiten?«
»Michael, laß uns erst mal zum Hotel fahren«, sagte Lena flehend.
Es standen viele Autos herum, aber ihre Routen waren offenbar von der lokalen Mafia genau aufgeteilt. Die einen lehnten es
aus irgendeinem Grund ab, zum Hotel »Tura« zu fahren, die anderen verlangten so unverschämte Preise, daß Lena aus Prinzip
ablehnte. Diese gewissenlosen Halunken, die mit sicherem Ganovengespür in dem munteren bärtigen Alten einen reichen Ausländer
witterten, durfte man nichtnoch ermutigen – selbst wenn einem vor Kälte die Zähne klapperten.
»Warum hast du diesen Wagen nicht genommen?« fragte der Professor. »Das war schon der vierte!«
»Da sitzen zwei drin und verlangen hundert Dollar. Erstens ist das gefährlich und zweitens zu teuer.«
»Lena, du bist ja schon blau vor Kälte. Was mache ich, wenn du krank wirst?« sagte Michael kopfschüttelnd. »Pfeif auf die
hundert Dollar, ich will ins Hotel!«
Neben ihnen hielt ein unauffälliger Moskwitsch. Darin saß nur der
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