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Die leichten Schritte des Wahnsinns

Die leichten Schritte des Wahnsinns

Titel: Die leichten Schritte des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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wenige Tage zu leben hat.
    In der Nähe des Puschkin-Museums hielt sie an und lief zu Fuß zum Gogol-Boulevard hinüber. Vorsichtig auftretend, um ihre
     hellen Wildlederstiefel nicht zu beschmutzen, ging sie den Boulevard hinunter. Auf einer der Bänke zeichnete sich die schwarze
     Silhouette eines Mannes ab. In der Dunkelheit leuchtete seine glimmende Zigarette auf.
    Regina setzte sich schweigend neben ihn und zündete sich ebenfalls eine Zigarette an. Aus der Dunkelheit vernahm man schwere,
     durch den Schmutz patschende Schritte. Ein angetrunkener Stadtstreicher schwankte mit unsicherem, stolperndem Gang über den
     Boulevard. Er taumelte auf die Bank zu und krächzte heiser:
    »Verzeihung, haben Sie vielleicht ein Zigarettchen für mich?«
    Regina schüttelte schweigend eine Zigarette aus ihrer Schachtel und reichte sie dem Trunkenbold mit spitzen Fingern.
    »Innigsten Dank«, krächzte der, »und vielleicht auch noch ein Feuerchen, wenn’s keine Mühe macht.«
    Der Mann neben Regina klickte mit dem Feuerzeug. Der Stadtstreicher beugte sich vor und warf für eine Sekunde einen Blick
     auf ihre Gesichter, die von der Flamme des Feuerzeugs beleuchtet wurden.
    »Nochmals innigsten Dank.«
    Schwankend und vor sich hin murmelnd trottete er davon und verschwand in der Dunkelheit des Boulevards.
    Der Mann wartete noch eine Minute und schob dann Regina schnell ein kleines, flaches Päckchen in die Hand. Eine Minute später
     befanden sich in der Tasche seiner Jacke zehn Hundertdollarscheine.
    »Ich erwarte Ihren Anruf um Punkt zwei Uhr nachts«, sagte der Mann.
    Regina nickte, warf die Zigarette in eine Pfütze unter der Bank und ging dann wieder langsam und vorsichtig zum Auto zurück.
     Bevor sie den Motor anließ, zog sie das kleine Päckchen hervor und wickelte es aus. Es war eine normale Kassette. Regina steckte
     sie sofort in den Recorder.
     
    Um halb zwei kehrte sie nach Hause zurück. Wenja schlief friedlich, die Hand wie ein Kind unter die Wange geschoben. Regina
     zog sich aus und stellte sich unter die heiße Dusche.
    Wie seltsam, dachte sie, so viele Jahre ist er unter meiner Kontrolle am Rande des Abgrunds balanciert, immer kurz vor einer
     schweren Psychose. Die Krankheit hat ihn nicht gehindert, ausgezeichnet zu denken und zu arbeiten. Im Gegenteil, er war stark
     und vorsichtig. Er spürte die Gefahr und war imstande, ihr auszuweichen. Darin bestand ja mein Kalkül. Die Energie der Krankheit,
     die Energie der unersättlichen Selbstbestätigung trieb ihn vorwärts und machte ihn unbesiegbar. Ich glaubte, er würde niemals
     endgültig gesund werden. Und jetzt ist auf einmal alles so einfach. Schrecklich einfach. Er hat sich verliebt. Er ist gesund
     und schutzlos geworden. Er kann nicht mehr klar denken und adäquat reagieren. Er entgleitet meiner Kontrolle. Ich wußte immer,
     daß er verrückt ist, aber nie hätte ich gedacht, daß er ein solcher Dummkopf ist.
    Eine halbe Stunde später saß sie im Bademantel in der Küche, wählte eine Nummer auf ihrem Handy und sprach nur vier Worte:
    »Spaten. Kralle. Fünf Riesen.«
    »Für jeden?« fragte der unsichtbare Gesprächspartner zurück.
    »Gut. Acht für beide. Aber umgehend.«
    »Dann zehn.«
    »Einverstanden«, sagte Regina seufzend. »Neun. Erledigt ihr das bis übermorgen?«
    »Wir werden uns bemühen,« entgegnete ihr Gesprächspartner spöttisch und hängte ein.
    ***
    Während Major Ijewlew die Gespräche abhörte, die in dem schwarzen Mercedes geführt worden waren, ging ihm durch den Kopf,
     daß man einer Frau niemals glauben dürfe. Der Superproduzent ist wie wild hinter der Frau des Milizobersten her – und sie
     hat gar nichts dagegen. Deshalb hatte sie auch keine Anstalten gemacht, ihren Mann aus London zurückzuholen. Was sollte sie
     mit dem Ehemann, wenn sie sich einen Millionär angeln konnte? Den Sprengsatz hatte die Frau von Wolkow in den Kinderwagen
     gelegt. Wer sonst, wenn nicht sie? Aus Eifersucht ist eine Frau zu erstaunlichen Gemeinheiten fähig. Sie war in dem Hof, in
     dem der Kinderwagen explodierte, gesehen worden. Sie hatte auch versucht, in die Wohnung der Poljanskaja einzudringen. Eine
     Frau von mittlerer Größe oder etwas darüber, zwischen vierzig und fünfzig, beim erstenmal hatte sie eine kurze Lammfelljacke
     getragen, beim zweitenmal einen langen Mantel.
    Die Gradskaja war eine erfahrene und kluge Frau, die kriminelle Welt war ihr keineswegs nur vom Hörensagen bekannt. Nur naive
     Kleinbürger glauben, man

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